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Sonntag, 10. März 2013

zum sonntäglichen Frühstück: Keine Kohle aus Athen

Welt am Sonntag 10.03.13

Keine Kohle aus Athen

Vor einem Jahr wurden Tausende Griechenland-Anleger zwangsenteignet. Viele zogen vor Gericht. Doch es drohen jahrzehntelange Prozesse Von 
Joachim Weber wurde gewarnt. Griechische Freunde rieten davon ab, ihrem Staat Geld zu leihen, denn sie trauten ihren eigenen Politikern nicht über den Weg. Doch der Kieferorthopäde aus Ludwigshafen war immer ein großer Freund der europäischen Idee gewesen. Und alsGriechenland Anfang 2010 in Not geriet, glaubte er, durch den Kauf griechischer Staatsanleihen ein wenig helfen zu können. So landeten die Papiere in seinem Depot. Doch vor genau einem Jahr wurde Griechenland umgeschuldet und Webers Anleihen umgetauscht. Nun hat er 24 verschiedene Papiere mit Laufzeiten bis 2042. Zudem musste er auf die Hälfte des angelegten Betrags, genau 53,5 Prozent, verzichten.

All das geschah gegen seinen Willen, er hatte der Maßnahme ausdrücklich nicht zugestimmt – genau wie Tausende anderer Anleger auch. Dennoch wurden sie auf diese Weise alle zwangsenteignet. Viele kämpfen jetzt vor Gericht um ihr Recht und ihr Geld. Vor ihnen allerdings liegt ein langer und steiniger Weg, der über diverse Instanzen führen dürfte und, wenn überhaupt, frühestens in zehn oder 15 Jahren zu einer Entschädigung des Verlustes führen dürfte. Tausende gehen den Weg dennoch.
"Mir geht es dabei weniger um das Geld", sagt Weber, "ich will einfach nur, dass in Europa wieder Recht und Gesetz herrschen." Denn das Vorgehen Griechenlands war aus rechtsstaatlicher Sicht äußerst zweifelhaft. So beschloss das Parlament zunächst ein Gesetz, mit dem die Bedingungen der Anleihen nachträglich einseitig geändert werden konnten. Das ist ungefähr so, als erklärte der Schuldner einer Bank Jahre nach Aufnahme eines Kredits, er habe sich entschlossen, den ursprünglichen Darlehensvertrag von sich aus abzuändern. Griechenland aber machte genau das. Es führte sogenannte CAC-Klauseln in die Anleihebedingungen ein. Diese sehen vor, dass Wert und Laufzeit der Papiere nachträglich verändert werden können, wenn dem 75 Prozent der Gläubiger zustimmen. Die restlichen müssen sich diesem Votum dann unterordnen.
Genau dieser Schritt wurde Mitte März 2012 vollzogen, unter Zustimmung und sogar mit ganz klarer Unterstützung durch die europäischen Partnerländer. Griechenland sollte auf diesem Weg entschuldet werden, eine Pleite verhindert werden. Allerdings: Ein Staat kann im Gegensatz zu einem Unternehmen oder einer Privatperson eigentlich nicht pleitegehen. Er hat immer irgendwelchen Besitz – Häfen, Flughäfen, Gebäude. Daher gibt es keine staatliche Zahlungsunfähigkeit, nur eine staatliche Zahlungsunwilligkeit. Jedoch sitzt ein Staat eben stets am längeren Hebel. Er kann solche Gesetze erlassen, wie es Griechenland tat, und er hat das Gewaltmonopol, um diese durchzusetzen.
Immerhin gibt es aber in Europa unabhängige Gerichte. Und genau darauf setzen Weber sowie Tausende anderer Anleger, von denen sich viele unter dem Dach von Aktionärsvereinigungen zusammengefunden haben. So betreut die Schutzgemeinschaft der Kleinanleger (SdK) rund 1300 Anleger, die zusammen 138 Millionen Euro in griechische Anleihen investiert hatten. Bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sind es rund 1000 Investoren, die ein Volumen von 50 Millionen Euro repräsentieren.
"Die wenigsten davon, maximal zehn Prozent, waren Anleger, die in den vergangenen Monaten vor der Umschuldung auf einen glimpflichen Ausgang wetteten und damit einen Reibach machen sollten", sagt SdK-Vorstand Daniel Bauer. "Die meisten sind Langfristanleger, meist ältere Menschen, die seit Jahren in Staatsanleihen investiert hatten, eben weil diese als sicher galten."
Oder aber Studenten. So wie Thilo Peters aus Berlin. Der 22-jährige Wirtschaftsstudent vertraute auf die Aussagen Angela Merkels von Anfang 2010, die den Anschein erweckten, Griechenland werde auf keinen Fall bankrottgehen. Er investierte eine kleine, aber für ihn doch erhebliche Summe in griechische Anleihen. Auch er widersprach der Umschuldung, dennoch tauschte seine Bank die Anleihen aus. Das Ergebnis: Er hat nun 24 verschiedene Papiere im Depot, und wollte er sie verkaufen, so würden für jeden Verkauf Gebühren fällig. Diese wären dann sogar höher als der Restwert der Anleihen. "Die Banken haben der Umschuldung zugestimmt, sodass das Quorum von 75 Prozent erreicht wurde", sagt Peters, "aber das ist kein Wunder: Sie verdienen ja daran noch."
Und zwar nicht nur an den Gebühren. Sie wurden zudem von der Europäischen Zentralbank (EZB) mit so viel billigem Geld versorgt, wie sie wollten, und konnten damit die Löcher in ihren Bilanzen stopfen. Auch die Hedgefonds, die auf Griechenland gewettet hatten, kamen glimpflich davon. Die Kreditausfallversicherungen, die sie abgeschlossen hatten, glichen am Ende ihre Verluste aus. Nur die Privatanleger blieben auf ihren Verlusten sitzen.
Um ihnen jedoch nun nachträglich zu ihrem Recht zu verhelfen, verfolgen die Aktionärsvereinigungen mehrere Ansätze vor den Gerichten. So läuft vor dem obersten Verwaltungsgerichtshof in Athen eine Klage gegen die Umsetzung des Gesetzes zu den CAC-Klauseln. Auch die SdK sowie 17 ihrer Mitglieder sind dabei. Die erste Verhandlung ist für den 22. März angesetzt, ein Urteil dürfte frühestens einige Monate später gefällt werden. Bauer sieht jedoch Chancen für einen für die Kläger positiven Ausgang.
Knackpunkt: Das Gericht könnte urteilen, dass die Kläger zwar recht erhalten, dass dieses Urteil aber nur für diese gilt, nicht für andere Anleger, die nicht geklagt haben. Und da innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes geklagt werden musste, schafften das nur wenige. Darunter sind nur einige Dutzend Deutsche, aber immerhin 7000 Griechen - es wird gemunkelt, dass es sich dabei vor allem um hochrangige Mitglieder der großen griechischen Parteien handelt. Am Ende könnten diese also ihr Geld zurückerhalten, die meisten ausländischen Anleger stünden jedoch mit leeren Händen da.
Andere Betroffene gehen in Deutschland vor Gericht. Dabei stützen sie sich auf das europäische Verbraucherschutzrecht, das einen Gerichtsstand im Heimatland des Verbrauchers vorsieht, und Käufer von Wertpapieren gelten ausdrücklich auch als Verbraucher. Die DSW fasst dazu Geschädigte zu Klagegemeinschaften zusammen, was in Deutschland möglich ist, wenn die Rechtsfrage identisch ist. Derzeit werden die letzten Mitkläger aufgenommen, dann soll es losgehen.
"Allerdings mauert die Athener Regierung hier, wo sie kann", sagt Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der DSW. So konnten die Klagen, die bereits an einem deutschen Gericht eingereicht wurden, in vielen Fällen bislang nicht zugestellt werden, da die Behörden in Griechenland schlicht die Entgegennahme verweigern. "Wir haben daher versucht, eine Klage, die beim Landgericht Kiel eingereicht worden war, auf diplomatischem Wege zustellen zu lassen." Doch die Bundesregierung lehnte das glatt ab, obwohl so etwas bei Verfahren gegen EU-Staaten durchaus üblich ist.
Auch bei einem dritten Weg verhindert die deutsche Regierung, dass die Kläger zu ihrem Recht kommen. Denn Deutschland und Griechenland haben 1961 ein Investitionsschutzabkommen geschlossen. Es sieht vor, dass im Falle von Enteignungen innerhalb von zwei Monaten eine Entschädigung zu zahlen ist. Das Abkommen sieht allerdings vor, dass eine solche Entschädigung nur von der jeweiligen Regierung eingeklagt werden kann, nicht von Einzelpersonen. Und der deutsche Wirtschaftsminister lehnt dies rundheraus ab.
Doch es gibt ein Schlupfloch. Denn sowohl Deutschland als auch Griechenland haben mit Drittstaaten ähnliche Abkommen geschlossen, die auch Klagen von Einzelpersonen zulassen. Und das internationale Recht sieht vor, dass in einem solchen Fall die sogenannte "Meistbegünstigungsklausel" zum Zuge kommt, sprich: Es gilt bei vergleichbaren Abkommen für alle jeweils die für die Bürger günstigste Vereinbarung. Derzeit lässt die SdK von Anwälten die Chancen ausloten, auf diesem Wege doch noch klagen zu können.
Das Problem hierbei ist jedoch, dass ein Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington teuer ist. "Mindestens vier Millionen Euro müssen wir bis Mitte des Jahres sammeln, um diesen Weg gehen zu können", sagt Bauer. Denn jeder Prozesstag dort kostet rund 30.000 Dollar. Wenn das Geld zusammenkommt, sieht er jedoch gute Chancen, in Washington recht zu bekommen. Aber selbst dann wird es noch Jahre dauern. "Zehn Jahre sollten Anleger mindestens einkalkulieren."
Joachim Weber ist das jedoch egal. Es geht ihm darum, Gerechtigkeit wiederherzustellen. Und dabei hat er trotz aller Widrigkeiten seine positive Einstellung gegenüber Griechenland nicht verloren. Gerade erst in der vergangenen Woche hatte er zwei griechische Zahnärztinnen zu einem Vorstellungsgespräch in seiner Praxis eingeladen. Er will weiter helfen, wo er kann

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