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Sonntag, 23. Juni 2013

Harald Uhlig ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Chicago und wurde vom Bundesverfassungsgericht unlängst während der Euro-Verhandlung als Sachverständiger befragt.


GastbeitragEine Lektion zur Europäischen Zentralbank

 ·  Ist das umstrittene OMT-Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank nun Geldpolitik oder (verbotene) Staatsfinanzierung? Eine Erklärung Schritt für Schritt - bis zum schwarzen Gürtel der Finanzmarktökonomie.
© DPAWas darf die Europäische Zentralbank?
Bis Sommer 2012 stiegen die Zinsen in einigen Euroländern gefährlich an, Staatsbankrotte und Euroaustritte wurden ernsthaft diskutiert. Am 26. Juli 2012 versprach der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zu tun, „what ever it takes“, um den Euro zu erhalten. Am 6. September verkündete er das „Outright Monetary Transactions“- oder OMT-Programm und damit die Bereitschaft, gegebenenfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern in Schwierigkeiten zu kaufen, um deren Zinsen zu senken. Die Bedingungen sind: nur Staaten, die sich einem Programm des Rettungsfonds ESM unterwerfen, nur Anleihen bis drei Jahre Laufzeit, nur Käufe auf dem Sekundärmarkt. Dennoch: Die Märkte, auch viele Ökonomen im Ausland, applaudierten. Endlich hat Draghi die „große Bazooka“ herausgeholt! Die Zinsaufschläge sanken, die Märkte haben sich beruhigt. Vielleicht ist der Spuk jetzt vorbei. Wunderschön!
Vielleicht aber nicht. Vielleicht kommt die Krise zurück. Vielleicht muss die EZB ihr Versprechen einlösen, und vielleicht kommt es dann zu gewaltigen Transfers von solventen Ländern wie Deutschland in die Krisenländer und zur Staatenfinanzierung durch die Notenbank. Das wäre schlimm. Darum stößt das OMT-Programm auf Widerstand vor allem in Deutschland inklusive der Bundesbank. Darum beschäftigt sich nun das Bundesverfassungsgericht mit der Frage: Ist das OMT-Programm noch Geldpolitik (was die EZB darf) oder schon Staatenfinanzierung (was die EZB nicht darf)? Wo ist die Linie im Sand? Und gibt es vielleicht eine leichte Modifikation des OMT-Programms, so dass die EZB noch Geldpolitik machen kann, wie sie behauptet, aber nicht mehr Staatenfinanzierung wie mancher in Deutschland befürchtet?
Die Antwort ist: Es gibt diese Modifikation und diese Linie. Die Modifikation ist: Das OMT braucht eine strikte Bindung an Sekundärmarktpreise, die wiederum von einem substantiellen Anteil (sagen wir: zwanzig Prozent) gleicher Anleihen ermittelt werden, die bis zur Auszahlung im freien Markt gehandelt werden. Die Linie ist: der Kauf oberhalb von Sekundärmarktpreisen oder der fast vollständige Kauf eines Marktes. Das haben Sie jetzt nicht verstanden? Lassen Sie es mich erklären!

Marktdisziplin schiebt der Staatsfinanzierung einen Riegel vor

Ganz einfach ist die Sache nicht. Sie wollen weiterblättern? Geduld, geneigter Leser! Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und einen Bleistift, gutes Kopfrechnen reicht auch: So schwer ist es nämlich auch wieder nicht. Ich teile es in kleine Stufen auf. Nach jeder Stufe bekommen Sie einen farbigen Gürtel, genauso wie ein Judo-Kämpfer. Am Ende haben Sie dann den schwarzen Gürtel der Finanzmarktökonomie! Schön, oder? Und Sie werden etwas verstanden haben, was vielen, auch so manchem Experten, entgangen ist. Machen Sie die Probe mit Ihrem neuen Wissen, legen Sie Ihre Kollegen argumentativ flach mit Ihrem Schwarzgurt! Mal ehrlich: deswegen lesen Sie die F.A.Z. doch, oder? Na also. Los geht’s.
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sagt: Die EZB darf Anleihen nicht direkt vom Staat kaufen, also dem Primärmarkt, sondern allenfalls auf dem darauf folgenden Markt der Marktteilnehmer untereinander, dem Sekundärmarkt. Die Idee ist, dass die EZB auf dem Primärmarkt Fabelpreise zahlen und damit Staatenfinanzierung betreiben könnte, während sie sich am Sekundärmarkt der Marktdisziplin gehandelter Preise unterwerfen muss und dies der Staatenfinanzierung irgendwie einen Riegel vorschiebt. Macht das wirklich einen Unterschied und, wenn ja, wann? Wie wichtig ist die Klausel, die EZB möge immer „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ handeln? Ich behaupte: Wenn sich die EZB daran hält, was hier für einen Ökonomen klar und deutlich gesagt ist, dann ist alles in Ordnung. Wenn nicht, dann hat sie die Linie im Sand überquert. Der Reihe nach.
Sagen wir, Ihnen wird ein Papier verkauft, das im Jahr 2014 entweder 100 Euro oder gar nichts zahlt, jeweils mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit. Wie viel würden Sie für dieses Papier zahlen? Welcher Preis würde sich in einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ einstellen? Nehmen wir der Einfachheit halber an, den Marktteilnehmern ist es egal, ob sie einen Euro heute oder erst in einem Jahr in der Tasche haben, und eine Risikoprämie gibt es auch nicht: Nur der Erwartungswert zählt. Sie kommen auf 50 Euro als Preis? Richtig! Angenommen, Sie bekommen auf jeden Fall 100 Euro ausgezahlt, wie hoch ist der Preis dann? 100 Euro? Gut so. Oder, als Marktzins ausgedrückt: 100 Prozent im ersten Fall, null Prozent im zweiten, so ist es! Sie haben den gelben Gürtel! Das war noch nicht so schwer, oder?

Preis gleich Auszahlungswahrscheinlichkeit

Zeit für etwas Zen-Meditation der Geldpolitik: Angenommen, diese Ausleihen werden von einem Staat herausgegeben, nennen wir ihn „Spanien“, um die Phantasie zu beflügeln. Nehmen wir an, es gibt zwei verschiedene Szenarien oder (wie wir Ökonomen sagen) „Gleichgewichte“. In dem einen Gleichgewicht zahlt Spanien entweder 100 Euro auf die Anleihe mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit, oder nichts, mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit. In dem anderen Gleichgewicht zahlt Spanien auf jeden Fall 100 Euro. Auf einem freien Markt ergibt sich also im ersten Szenario ein Preis von 50 Euro auf dem Primär- und auch kurz darauf auf dem Sekundärmarkt. Dabei nehme ich zur Vereinfachung an, dass sich die Wahrscheinlichkeiten und Parameter zwischenzeitlich nicht verschieben. Im zweiten Szenario ergeben sich Preise von 100 Euro. Das kennen Sie schon aus der Gelb-Gurt-Prüfung! Die Preise und damit die Marktzinsen entsprechen den Auszahlungswahrscheinlichkeiten.
Angenommen, die EZB hätte per „Finanzmarkstabilisierung“ die Macht, von dem einen Gleichgewicht mit den 100 Prozent Zinsen zu dem anderen mit den null Prozent Zinsen zu kommen, aber ohne andere Marktteilnehmer, nennen wir sie „die Deutschen“, zu belasten und ohne die Preisstabilität zu gefährden. Ist das noch Geldpolitik? Oder ist das schon Staatenfinanzierung? Oder noch genauer: Ist es okay, wenn die unabhängige EZB und Draghi behaupten, dies ist noch Geldpolitik, auch wenn vielleicht der eine oder andere in Deutschland behauptet, das ist ganz furchtbare Staatenfinanzierung?
Tief durchatmen! Niemand verliert, keine Transfers in den Süden, Spanien geht es besser, Finanzmärkte werden stabilisiert. Fokussieren! Wer will ernsthaft gegen eine solche Verbesserung der Lage sein? Deutschland kann sich freuen, dass die EZB hier eingreift! Schließen Sie die Augen, konzentrieren Sie sich! Sie sagen, das ist gerade noch Geldpolitik? Das finde ich auch. Diese Debatte kann die EZB guten Mutes aufnehmen und gewinnen. Sie kann dabei auf die Klausel mit dem „effizienten Einsatz der Ressourcen“ in Artikel 127, AEUV verweisen. Nicht einverstanden? Dann sollte das der Kern der Diskussion sein. Jetzt brauche ich aber die Prämisse, dies ist noch Geldpolitik.

Der befürchtete Bankrott erfüllt sich selbst

Zur nächsten Prüfung. Angenommen, Spanien verkauft 2013 eine Milliarde Papiere und verspricht, auf jedes dieser Papiere 100 Euro im Jahr 2014 zu zahlen, insgesamt also 100 Milliarden Euro. Sagen wir, Spanien hat 70 Milliarden Euro 2014 und verkauft dann zudem 500 Millionen neue Papiere, für die es 2015 je 100 Euro verspricht. Sagen wir, auch 2015 hat Spanien 70 Milliarden Euro. Schließlich: Sollte Spanien irgendeine Anleihe nicht vollständig bedienen, gibt es so viel Streit vor den Gerichten, dass ab dann kein Anleger etwas bekommt. Hier ist Ihre Prüfungsfrage: Wie sehen die Preise aus?
Keine Lust? Sie sind Gelbgurt, das bekommen Sie hin. Lösen Sie es von hinten! 2015 kann Spanien zahlen. Also kann Spanien die neuen Papiere 2014 für je 100 Euro verkaufen, hat insgesamt 120 Milliarden und kann die alten Schulden begleichen. Heute sind die Papiere daher 100 Euro wert. Das haben Sie auch? Gratulation, Sie haben den orangen Gürtel! Ganz nebenbei, wie ist der Zins heute auf spanische Ein-Jahres-Anleihen? Null Prozent? Genau. Sie machen mich stolz.
Ich sehe es da in Ihren Augen gefährlich glitzern! Sie fordern die anderen Orange-Gurte zum Kampf auf! Sie meinen, Sie kennen da eine neue Technik? Na, das schaue ich mir an. Ah, Sie wenden ein, vielleicht kaufen die Käufer 2014 nicht! Die lesen alle die gleichen Zeitungen und fürchten alle gleichzeitig einen Bankrott! Sagen wir, mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit tritt dieser Fall ein. Wenn die neuen Käufer nicht kaufen, kann Spanien 2014 nicht zahlen, es gibt Chaos vor den Gerichten, und dann bekäme auch ein neuer Käufer 2015 nichts, der sich 2014 doch getraut hätte: Es war dann also vernünftig oder „rational“, nicht zu kaufen. Raffiniert! Eine Erwartung erfüllt sich selbst, die Befürchtung des Bankrotts führt zu dem befürchteten Ereignis. Welcher Preis ergibt sich dann heute? Sie sagen 50 Euro? Stimmt! Meinen Glückwunsch, Sie haben diese Kampftechnik selbst entwickelt: Ich bin beeindruckt. Ich verleihe Ihnen den grünen Gurt.
Zeit zur Meditation: Werden Sie eins mit Ihrer Euroumgebung! Sie sehen das eisige Grün-Gurt-Szenario, aber sie fürchten sich nicht. Sie sehen Meister Draghi, er verkündet so etwas wie das OMT-Programm. Er verspricht, notfalls 400 Millionen Papiere 2014 für 90 Euro zu kaufen. Das eisige Grün-Gurt-Szenario schmilzt dahin, das warme Orange-Gurt-Szenario kommt zurück. Spanien hat 2014 nun mindestens 106 Milliarden, kann zahlen, kein Bankrott. Die potentiellen Käufer sehen 2014 bei 90 Euro das gute Geschäft und kommen zurück: Sie würden sich sonst zu sehr ärgern. Durch den Wettbewerb steigt der Sekundärmarktpreis und damit auch der Primärmarktpreis auf 100 Euro. Wenn die EZB kauft, dann eben zu 100 Euro, nicht zu 90 Euro: Wer sollte ihr denn sonst Papiere verkaufen? Aber vor allem: Sie kauft nächstes Jahr zu einem Preis, der nicht über dem Sekundärmarktpreis liegt. Sie hält sich an die Regeln einer „offenen Marktwirtschaft im freien Wettbewerb“.

Sie bringen meinem Dojo Ehre - brauner Gurt

Das war anstrengend, aber halten Sie durch! Angenommen, Spanien hat 2015 nicht sicher 70 Milliarden Euro, sondern stattdessen entweder 140 Milliarden Euro oder gar nichts, jeweils mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit. Und 2014 gibt Spanien 500 Millionen Schuldtitel heraus, auf die es eine Auszahlung von 200 Euro verspricht. Macht das einen Unterschied? Ah, Gelb-Gurt-Prüfung: Die Papiere sind 2014 je 100 Euro wert, genauso wie oben. Genau, es macht keinen Unterschied! Meinen Glückwunsch zum blauen Gürtel! Sie finden, es macht doch einen kleinen Unterschied? Wenn die EZB kaufen sollte, so bekommt die EZB vielleicht nichts zurück. Andererseits bekommt sie im guten Fall 200 Euro. In Erwartung bekommt die EZB zurück, was sie bezahlt hat, und „die Deutschen“ werden nicht belastet. Darf eine unabhängige EZB das? Meditieren Sie darüber. Für die Diskussion lege ich jetzt fest: Sie darf.
Auf zur nächsten Stufe. Angenommen nun, Spanien hat 2015 nichts, trotz Teilnahme an einem ESM-Programm und schönster Vorsätze, und jeder weiß es! Was sind die Papiere auf den Primär- und Sekundärmärkten wert, ohne OMT-Programm? Nichts, in beiden Jahren? Genau, klarer Fall. Lächerliches Orange-Gurt-Niveau, das ist unter Ihrer Würde? Also gut! Kommen Sie auf die Matte, Papier und Bleistift zur Hand, aufgepasst! Die EZB greift mit einer anderen OMT-Variante ein: Sie kauft 2014 auf dem Sekundärmarkt 400 Millionen dieser Papiere zu je 100 Euro. Werden ihr mehr als 400 Millionen Papiere angeboten, so wählt sie per Lotterie aus. Wie sehen jetzt die Preise aus? Vor allem: Was ist der Sekundärmarktpreis kurz vor der EZB-Lotterie, und wie sieht der Primärmarktpreis 2014 aus?
Ich sehe, jetzt kommen Sie doch ins Schwitzen. Sie brüten, Sie schreiben. Ha! Was, Sie haben es? Zeigen Sie her, das glaube ich nicht. Sie schreiben, da die Papiere 2015 nichts wert sein werden, wird alles der EZB angeboten: stimmt. Mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit bekommt man 100 Euro von der EZB und mit 20 Prozent Wahrscheinlichkeit nichts 2015. Also ist 2014 der Sekundärmarktpreis 80 Euro und damit auch der Primärmarktpreis, wenn sich zwischenzeitlich die Parameter nicht verschieben. Spanien hat 2014 genug, um zu zahlen, kein Bankrott. Richtig! Donnerwetter. Sie bringen meinem Dojo Ehre. Jetzt sind Sie ein Braungurt!
Zeit zur Meditation! Findet hier Staatenfinanzierung statt, oder ist es noch Geldpolitik? Spüren Sie das Yin und Yang der EZB! Die EZB will helfen, aber Spanien bekommt Geld von der EZB, das es nicht zurückzahlen kann. Staatenfinanzierung? Genau, da sind wir uns alle einig. Kauft die EZB 2014 zum Sekundärmarktpreis? Genau, sie tut es nicht! Die EZB hat die Linie im Sand überschritten, sie hat über dem Sekundärmarktpreis gekauft.

Der Sekundärmarkt darf nicht verschwinden

Die letzte Prüfung. Braun-Gurt-Szenario, aber die EZB kauft wirklich nur zu Sekundärmarktpreisen. Wie sehen die Preise aus? 100 Euro nicht, das wissen wir schon. Was ist, wenn die EZB zu 80 Euro kauft? Ah, nach der Braun-Gurt-Logik ist der Sekundärmarktpreis dann 64 Euro? Sie sagen, es bleibt nur null Euro als Lösung übrig? Genau, bravo! Und: Eine Staatenfinanzierung tritt nicht ein.
Wie lauten die Preise bei OMT ohne Einschränkung, bei der also die EZB 2014 alles zu 100 Euro kauft? Genau, 100 Euro! Perfekte Antwort! Das ist aber wieder Staatenfinanzierung. Deswegen lehnt der Bundesbankpräsident Weidmann ein solch uneingeschränktes OMT ab. Zwar kauft die EZB zu Sekundärmarktpreisen. Aber: Hierbei wird der gesamte Markt von der EZB gekauft, der Sekundärmarkt verschwindet, die Linie im Sand ist überschritten. Das ist kein „offener Markt im freien Wettbewerb“. Die EZB kann natürlich wieder verkaufen, zu null Euro dann, aber zwischendurch war der Sekundärmarkt weg.
Der Sensei verneigt sich tief vor seinem Schüler. Sie haben es geschafft! Champagner bitte, oder doch besser grüner Tee! Glückwunsch zum Schwarzgurt und 1. Dan der Finanzmarktökonomie. Sie dürfen stolz auf sich sein.
Meditieren wir zum Abschluss noch einmal etwas länger. Sinken Sie tief hinein, tiefer, noch tiefer. Finden Sie das innere Gleichgewicht der Finanzmärkte. Versuchen Sie es! Sie finden es nicht: Ich spüre Ihre Unruhe. Sie sorgen sich, die Beispiele oben seien zu einfach gestrickt, zu weit weg von der Wirklichkeit. Aber Sie haben jetzt einen Schwarzgurt, jetzt brauchen Sie Übung! Verändern Sie die Parameter, durchdenken Sie die Parallelen zum wirklichen Marktgeschehen, verändern Sie die Zahl der abfolgenden Ereignisse.

Harmonie im Euroraum

Erkennen Sie, warum ich darauf bestehe, dass zwanzig Prozent gleicher Anleihen bis zur Auszahlung im freien Markt verbleiben müssen - sie werden bei Ausgabe markiert, die EZB darf sie nie kaufen, auch nicht auf Repo-Märkten, und der ESM und Staatsbanken dürfen es auch nicht. Denn sonst könnte die EZB zusammen mit dem ESM erst die ersten 50 Prozent kaufen und dann die zweiten 50 Prozent: kaufen jeweils zu 100 Euro, verkaufen jeweils zu null. Obst gibt es zwar noch auf den Märkten, aber einmal verschwindet der Markt für Äpfel und einmal für Birnen. So ist das mit den freien Märkten auch nicht gemeint, das gilt nicht.
Sie fürchten, dass die EZB in der Blau-Gurt-Mediation mit den OMT-Einschränkungen das Grün-Gurt-Szenario doch nicht ganz vermeiden kann. Was passiert, wenn doch keiner kauft, und die EZB dann gezwungen ist, zu null Euro zu kaufen? Ist die Krise dann nicht wieder da? Sicherlich: Ein Restrisiko bleibt. Aber andererseits wird der Staatsfinanzierung ein Riegel vorgeschoben, das Braun-Gurt-Szenario wird vermieden, und das ist für Deutschland enorm wichtig. Diese moderate Einschränkung schuldet die EZB der Harmonie im Euroraum und ihrer fortgesetzten Unabhängigkeit. Die EZB kann diese Einschränkungen als „Klauseln“, „Details“ und „Klärung“ des OMT verkünden. Die Märkte sind ruhig genug, die Einführung dieses Restrisikos wird sie kaum stören, sie werden gelassen reagieren.
Ein eingeschränktes OMT-Programm hilft auch bei temporär illiquiden Märkten. Angenommen, im Orange-Gurt-Szenario haben die Käufer nur 10 Milliarden zum Kauf der neuen Anleihen zur Verfügung. Wie sehen jetzt die Preise aus, ohne oder mit OMT? Das ist ein Klacks für einen Schwarzgurt wie Sie! Wie steht es um die armen Spanier im Schwarz-Gurt-Szenario? Die gehen dann doch pleite! Sollten wir sie nicht doch retten? Meditieren Sie darüber. Nur: Die Bestimmung solcher Maßnahmen gehört in die Parlamente, sie müssen sich dafür bei ihren Steuern zahlenden Wählern rechtfertigen. Diese Entscheidungen gehören nicht in den Aufgabenbereich der EZB. Die EZB soll, sie muss die Finger davon lassen. Unbedingt.
Entfesseln Sie das Qi der offenen Marktwirtschaft im freien Wettbewerb. Sie sehen das Dunkel derer, die die EZB zur Staatenfinanzierung missbrauchen wollen. Sie sehen das Licht der Erleuchtung zwischen allen Beteiligten ehrlichen Willens. Sie sind am Nirvana der Euro-Rettung angekommen. Wenden Sie Ihre Fähigkeiten weise und fair an, tragen Sie zur Harmonie zwischen den Staaten der Eurozone bei. Vielleicht sehen wir uns wieder. Sie müssen noch viel lernen.
Harald Uhlig ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Chicago und wurde vom Bundesverfassungsgericht unlängst während der Euro-Verhandlung als Sachverständiger befragt.

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