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Mittwoch, 17. Juli 2013

Ökonomen erwarten Schuldenschnitt für Griechenland

Vor Schäuble-BesuchÖkonomen erwarten Schuldenschnitt für Griechenland

 ·  Am Donnerstag besucht Finanzminister Schäuble Griechenland. Wie geht es weiter mit seiner Schuldenkrise? Prominente Ökonomen erwarten einen Schuldenschnitt.
Entgegen den bisherigen Dementis der Bundesregierung sehen immer mehr  Ökonomen einen Schuldenschnitt für Griechenland kommen. „Ich halte einen weiteren Schuldenschnitt für unabwendbar“, erklärt etwa der Finanzwissenschaftler Jörg Rocholl, Präsident der ESMT-Hochschule in Berlin, der als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums auch Wolfgang Schäuble berät.
Kurz vor Schäubles Besuch in Athen sagte Rocholl der F.A.Z.: „Es wird einen beträchtlichen Schnitt geben, denn die Schuldentragfähigkeit der Griechen ist nicht gegeben.“ In diesem Jahr wird Griechenlands Staatsschuldenquote wegen der fortgesetzten Rezession und dem laufenden Defizit auf etwa 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Ziel der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es, die Schuldenquote bis 2022 auf 110 Prozent zu drücken. Viele Ökonomen halten dies für illusorisch.
Der neue Schuldenschnitt würde vor allem die öffentlichen Gläubiger und damit die europäischen Steuerzahler treffen müssen, sagte Rocholl. „Es handelt sich um einen deutlichen Milliardenbetrag“, erwartet er. Beim ersten Schuldenschnitt im März 2012 waren private Gläubiger betroffen gewesen und hatten einen zweistelligen Milliarden-Betrag aufgeben müssen.

Euro-Staaten sind Griechenlands wichtigste Gläubiger

Inzwischen halten öffentliche Gläubiger das Gros der Forderungen gegen Griechenland in Höhe von mehr als 220 Milliarden Euro, darunter die Euro-Länder 161 Milliarden Euro, die EZB 45 Milliarden Euro und der IWF 22 Milliarden Euro, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einer aktuellen Studie darstellt. Auch das IfW hält einen Schuldenschnitt für unausweichlich. „Griechenlands Verschuldung hat ein Niveau erreicht, das eine Sanierung der Staatsfinanzen ohne Hilfe von außen unmöglich macht, das ist nicht zu schaffen“, sagte der IfW-Ökonom Henning Klodt dieser Zeitung.
Allerdings werde die Frage des Schuldenschnitts noch bis zur deutschen Bundestagswahl verschoben, sagte Rocholl. „Das spielt eine Rolle. Denn mit dem Schnitt wird den Bürgern zum ersten Mal offensichtlich, dass der Steuerzahler mit hohen Verlusten betroffen ist und nicht nur Kredite an Griechenland vergeben werden, die zurückgezahlt werden, wie es bislang immer hieß“, sagte Rocholl.
Ähnlich sieht es der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. „Dieses Mal werden es aber keine neuen Kredite sein, sondern ein Schuldenerlass mit unmittelbaren Verlusten für den Bundeshaushalt“, sagte er dem Magazin „Focus“.
Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben bis zuletzt einen Schuldenschnitt abgelehnt. „Der Schuldenschnitt war eine einmalige Veranstaltung“, sagte Schäuble der „Bild“-Zeitung. Auch der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, unterstrich vergangene Woche: „Wir  wollen unser Geld zurückhaben.“ Doch Ökonomen zweifeln, ob Athen die riesige Schuldenlast dauerhaft bedienen wird können. „Die Dementis der Deutschen, auch der Kanzlerin, zum Schuldenschnitt klingen aber inzwischen nur noch halbherzig“, meinte Rocholl. Er mahnte an, die zu erwartenden Ausfälle schon jetzt in der mittelfristigen Haushaltsplanung zu berücksichtigen. „Man sollte diese Risiken ehrlich und offen nennen“, forderte der Ökonom, der zu den Befürwortern der Euro-Rettung zählt.

Debatte über Euro-Austritte

Vor einigen Wochen hatte Rocholl mit vier anderen bekannten Wissenschaftlern vor den Vorschlägen der eurokritischen Partei „Alternative für Deutschland“ zur geordneten Auflösung des Euro-Währungsgebiets durch einen Austritt der angeschlagenen Südländer gewarnt. Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Alexander Gauland beklagte unterdessen am Dienstag, durch die Eurorettung würden nun „wieder die Spannungen aus der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte“ belebt. Athener Medien hatten im Vorfeld von Schäubles Besuch nach Reparationsforderungen gegen Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs gerufen.
Der Wirtschaftsprofessor und AfD-Unterstützer Joachim Starbatty bekräftigte seine Ansicht, dass ein Euro-Austritt Griechenlands besser sei: „Die bisherigen finanziellen Leistungen an Griechenland haben dem Land nicht genutzt, sondern geschadet, da lediglich private durch souveräne Gläubiger ersetzt worden sind. So wurde es noch tiefer in die Schuldenfalle gestoßen. Innerhalb der Eurozone wird es für Griechenland nahezu periodisch Schuldenschnitte geben müssen“, meinte Starbatty, der in Berlin die AfD-Bundestagsliste anführt.
Die soziale Lage in Griechenland wird unterdessen immer härter: In fünf Rezessionsjahren ist die Wirtschaftsleistung um mehr als 20 Prozent eingebrochen, in diesem Jahr werden nach aktuellen Schätzungen nochmals bis zu 5 Prozent BIP-Rückgang erwartet. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 27 Prozent. Gewerkschaften haben am Dienstag einen 24-stündigen Generalstreik angekündigt, um gegen den geplanten Personalabbau im öffentlichen Dienst zu protestieren. Besonders der Luftverkehr, der öffentliche Transport und Krankenhäuser sind davon betroffen.

Wirtschaftsweiser Feld mag die Diskussion nicht

Der Finanzwissenschaftler Lars Feld warnte hingegen vor einer Diskussion über einen Schuldenschnitt. „Ich halte vorerst nichts von einem Schuldenschnitt. Sobald man ihn ernsthaft diskutiert, hören die Griechen auf zu reformieren und zu konsolidieren“, warnte der „Wirtschaftsweise“ gegenüber dieser Zeitung. Der griechische Konsolidierungsprozess gehe derzeit in eine entscheidende Phase, weil die Verkleinerung des aufgeblähten öffentlichen Dienstes anstehe.
Weitere dringende Reformbaustellen in Griechenland sind nach Ansicht des IfW die Öffnung der geschlossenen Berufe und zahlreichen Kartelle im Lande. Der geringe Wettbewerb gilt als eine Hauptschwäche der griechischen Wirtschaft. Zudem gilt die Verwaltung als schwerfällig und ineffizient. Im „Doing Business“-Ranking Der Weltbank ist Griechenland zwar aufgestiegen, steht aber auf Platz 78 zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Hürden für die Gründung neuer Unternehmen sind hoch, die Eintragung von Eigentum und der Erwerb von Lizenzen sowie behördliche Genehmigungen dauern lange und kosten viel. In diesen Kategorien befindet sich Griechenland im Weltbank-Index mit den Plätzen 146 und 150 in der Nähe von Ländern wie Malawi, Uganda und Simbabwe.
„Nach wie vor gibt es in Griechenland zu viele unproduktive Beamte; eine unerträglich hohe Regulierungsdichte belastet Unternehmer in Griechenland mit endlosen bürokratischen Hürden, und die Steuermoral der Selbständigen hat sich kaum verbessert“, sagte der Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dieser Zeitung. „Und solange Griechenlands Rahmenbedingungen für Investoren so schlecht bleiben, wird man sich nicht wundern dürfen, wenn die Privatisierung der Staatsbetriebe nur so schleppend vorankommt.“
Bei der Haushaltskonsolidierung ist inzwischen schon einiges vorangegangen: Unter Berücksichtigung des Schuldendienstes klafft zwar noch ein großes Loch im Budget, das aber von 10 Prozent des BIP im vergangenen Jahr nun auf 4,6 Prozent halbiert werden soll. Athen plant in diesem Jahr zudem erstmals seit Beginn der heftigen Finanzkrise einen Primärüberschuss im Haushalt zu erwirtschaften. Dies heißt, dass ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen die Einnahmen ausreichen, um die Ausgaben zu decken. Wahrscheinlich ist, dass sich dann die Verhandlungsposition Athens deutlich ändert. Finanzminister Giannis Stournaras kündigte dies bereits an, dass dann die Frage nach einem Schuldenschnitt neu gestellt werde.

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