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Dienstag, 20. August 2013

Protokollwahnsinn, standardisierte Produkte, Entmündigung - warum ein gut ausgebildeter Bankangestellter die Anlageberatung an den Nagel hängt.

Beratungsprotokolle bei WertpapierenDie Kapitulation eines Bankberaters

 ·  Protokollwahnsinn, standardisierte Produkte, Entmündigung - warum ein gut ausgebildeter Bankangestellter die Anlageberatung an den Nagel hängt.
© PICTURE ALLIANCE / DPA THEMENDIEEntmündigte Kunden, entmündigte Berater: Was soll man da noch raten?
Es ist eine Kapitulation: Der Mann ist Angestellter einer Bank. Er ist gut ausgebildet und seit Jahren im Beruf tätig. Als Anfang 2010 die Beratungsprotokolle in der Anlageberatung eingeführt wurden, war er von der Idee noch angetan. Inzwischen hat er gemerkt: Zur Vorfreude gab es keinen Anlass. Tatsächlich hat hier eine Regulierungswut Einzug gehalten, die vorgibt, Kundeninteressen in den Vordergrund zu stellen, in ihrer praktischen Umsetzung aber nur Bürokratie geschaffen hat. Der Eingriff des Gesetzgebers, so findet der Banker, bewirke deshalb faktisch genau das Gegenteil des Gewollten: Die Banken haben die Risiken auf ihre Kunden abgewälzt. Dafür bekommen die zur „Belohnung“ seitenweise mehr oder weniger unverständliche Protokolle. Zugleich dürfen Windpark-Genussrechte von Laien ohne vernünftige Beratung verscherbelt werden. Dem engagierten Banker reicht es. Er hängt seinen Beruf als Anlageberater an den Nagel.
Den Namen des Bankangestellten können wir nicht nennen, denn er arbeitet weiter in seinem Kreditinstitut. Seine Begründung für die neue Berufsplanung aber ist ein Protokoll ganz anderer Art: Es zeugt von einem falsch verstandenen Verbraucherschutz, von den Auswirkungen, die staatlicher Paternalismus im Alltag haben kann. Im Gespräch hat der Banker seiner Frustration Ausdruck verliehen. Auf diesem Weg ist ein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung und für mehr Freiheit entstanden. Der Text folgt den eigenen Worten des Angestellten.

Aus gutem Willen entstanden  -  in das Gegenteil verkehrt

„Als am 1. Januar 2010 zum Schutz der privaten Kleinanleger die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner für die Wertpapierberatung der Banken eine Protokollpflicht eingeführt hat, gehörte ich - wohl als Anhänger einer Minderheit unter den Bankberatern - noch zu den Befürwortern dieser lästigen Pflicht. Mir war zwar von Beginn an bewusst, dass der Schutz des Verbrauchers in der gewählten Form der Protokollpflicht schon bald zu einer immer standardisierten Beratung von Kunden führen würde - also zu vorgegebenen Produkten und weniger Auswahl. Aber mir war nicht klar, welche Dimensionen diese gesetzliche Bestimmung erreichen würde.
Meine ursprünglich positive Grundeinstellung hatte einen Grund: Ich hielt es für sinnvoll, da durch die Protokolle für den Kunden auch noch nach Jahren nachvollziehbar sein würde, welche Wünsche er hatte und wie er beraten wurde. Meine Begeisterung aber, als Kundenberater einer Bank künftig durch die Protokollierung des Beratungsgesprächs einfacher meinem Gewissen folgen zu können, ist einer bitteren Enttäuschung gewichen. Was aus gutem Willen - und vor dem Hintergrund der Finanzkrise und des erheblichen Fehlverhaltens vieler Banker in der Beratung von Kunden - entstanden ist, hat sich in das Gegenteil des ursprünglich Angestrebten verkehrt: Denn die Haftung wird von der Bank nun durch die beweisbare, weil dokumentierte Aufklärung vor Risiken auf den Kunden abgewälzt. Im Gegenzug erhalten die Verbraucher seitenweise bedrucktes Papier. Im Zusammenhang mit komplexeren Anlagevorschlägen und Depotbesprechungen kann der Umfang bis zu fünfzig Seiten betragen.

„Aufgeklärter Anleger wird zum unmündigen Verbraucher“

Das eigentliche Beratungsgespräch steht nicht mehr im Vordergrund. Es geht hauptsächlich darum, wie der Berater die Dokumentation unfallfrei (also formvollendet und gesetzeskonform) in die Computersysteme bekommen kann. Dazu werden einfache Depot- und Anlagevorschläge gewählt, die erst gar nicht zu Komplikationen oder fehlerhaften Darstellungen führen könnten. Den Bankkunden gehen so über die Monate und Jahre tonnenweise Papierstapel zu. Sie rücken auch den aufgeklärten Anleger pauschal in die Ecke des unmündigen Verbrauchers. Geradezu grotesk ist es, dass in der Praxis wiederum gerade dann auf die Erstellung eines Beratungsprotokolls verzichtet wird, wenn doch mal ein komplexer Sachverhalt erläutert wurde.
Ich gebe die Hoffnung auf, dass sich durch die Dokumentation die Anlageberatung in ihrer Qualität verändern und verbessern wird. Auch wird es keine besseren Produkte geben. Mit ihrer Regulierungswut sorgt die Politik allein dafür, dass gut ausgebildete Berater mit vielen Jahren Berufserfahrung faktisch ihrer Qualifikation enteignet werden. Sie sorgt dafür, dass der Bürger als nicht aufgeklärt dasteht, der aus Sicht des Staates auch nicht willens oder fähig ist, eine gute Anlageberatung von einer schlechten zu unterscheiden. Obendrein wird dem Verbraucher durch die schriftliche Dokumentation eine Sicherheit vorgegaukelt, die tatsächlich gar nicht vorhanden ist.

Jede Aktie wird zum Risikopapier

Mein Studium der Volkswirtschaftslehre an drei Universitäten und meine neunzehnjährige Berufserfahrung als Anlageberater befähigen mich nach der aktuellen Gesetzeslage nicht mehr dazu, einer 70 Jahre alten Dame mit einem Vermögen von mehr als 1 Million Euro eine Aktie eines großen deutschen Chemieunternehmens aus dem Dax im Gegenwert von 10.000 Euro zu empfehlen, ohne ein siebenseitiges Anlageprotokoll mit zwei Seiten Anhang, dem sogenannten Produktinformationsblatt, zu erstellen.
Unser Bundesfinanzminister hingegen stellt sich inmitten der Zypern-Krise hin und weist die deutschen Fernsehzuschauer auf die aus seiner Sicht extrem hohe Sicherheit von deutschen Bundesanleihen hin, die über die gesamte Laufzeitpalette bei Fälligkeiten von einem bis zehn Jahren negative Realverzinsungen erwirtschaften. Er verliert kein Wort darüber, dass die Staatsanleihen mit nichts außer dem Steueraufkommen gedeckt sind und die Verschuldung auch in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach nie abgetragen werden wird, dass also selbst unser Staat in die Insolvenz schlittern könnte. Dass durch die niedrigen Renditen eine kalte Enteignung zugunsten des Staates stattfindet, fand selbstverständlich im Interview ebenfalls keine Erwähnung. Aber eine Aktie - das ist ja ein Risikopapier.

Regulierung „zum Nachteil der Kunden“

Meine Ausbildung hat aus der Sicht des Staates, um es klar zu sagen, keinen Wert mehr: Einerseits werde ich entmündigt, andererseits muss ich einen Protokollaufwand in unangemessener Dimension produzieren. In der Kombination ist auch das zum Nachteil der Kunden. Denn was sich langfristig für die Bank nicht rechnet, wird nicht angeboten: Anlageberater werden entlassen, Geschäftsfelder eingeschränkt oder nicht mehr bedient. Kunden müssen höhere Entgelte entrichten, andere wandern zu Direktbanken ab - und erhalten dort gar keine Beratung mehr. Kunden einer Bank, die zu ihrem Anlageberater noch immer ein gutes Vertrauensverhältnis pflegen, sollten ihren Berater deshalb aber gerade nicht zur aktiven Verletzung von Gesetzesauflagen ermuntern, indem sie ihn immer wieder auffordern, auf eine Erstellung der Protokolle zu verzichten, weil sie keine Aktenordner für den ganzen Papierkram vorhalten könnten oder wollten. Denn Bankberater sind mit Strafandrohungen konfrontiert, wenn sie ein derartiges Protokoll nicht erstellen. Das ist so, obwohl in einer für jeden Verbraucher zugänglichen Verkaufsstelle von Genussrechten aus Beteiligungen an Windkraftprojekten Anlagegespräche über Summen von bis zu 1,5 Millionen Euro möglich sind, ohne dass ein Beratungsprotokoll erstellt wird.
In meinem Testgespräch über die Geldanlage in Windkrafträdern konnte mir die „Beraterin“ nicht einmal rudimentär die steuerliche Behandlung der Zinserträge erklären, geschweige sie fehlerfrei darstellen. Ein strukturierter Beratungsprozess war nicht zu erwarten. Erschreckend und bedenklich fand ich jedoch, dass jemand offenkundig branchenfremd und ohne wirtschaftliche oder kaufmännische Ausbildung Geldanlagen verkaufen darf, die in der Bankenwelt in der höchsten Risikoeinstufung mit besonderer Beratungskompetenz und -pflicht gekennzeichnet würden.
Mein Wissen aus einem abgeschlossenen Wirtschaftsstudium zuzüglich meiner Markt- und Berufserfahrung aus neunzehnjähriger Tätigkeit aber werde ich künftig den Bankkunden nicht mehr zur Verfügung stellen. Überlegenswert für mich ist es jedoch, ob ich nicht künftig auch hochspekulative Anlageformen mit Renditeversprechen von 8 Prozent im Jahr in einem nach meiner Wahrnehmung deutlich weniger regulierten Umfeld verkaufen sollte. Ist es das, was die Politik will?“

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