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Dienstag, 31. Dezember 2013

Pünktlich zum Beginn der griechischen Ratspräsidentschaft erinnern EU-Gegner in Athen an ihren Hass auf die Deutschen

GriechenlandHoffnung, Schüsse, Wachstum

 ·  Pünktlich zum Beginn der griechischen Ratspräsidentschaft erinnern EU-Gegner in Athen an ihren Hass auf die Deutschen. Trotz Wirtschaftswachstum und den Mutmachreden von Samaras könnte sich die politische Lage 2014 verschlechtern.
© DPAVergrößernKnapp daneben: Einer von 15 Schüssen schlug neben dem Deutschlandemblem der Botschafterresidenz in Athen ein
Kurz vor Beginn der griechischen EU-Ratspräsidentschaft hat Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras dieser Tage versucht, seinen Landsleuten Mut zu machen. Das Land werde, so versprach Samaras, eine Präsidentschaft der Hoffnung führen, „der Hoffnung auf mehr Europa und auf ein besseres Europa“. Radikale griechische Europagegner wollen davon nichts wissen. Sie verübten kurz nach Samaras’ Mutmachrede in der Nacht zum Montag einen Anschlag auf die Residenz des deutschen Botschafters. Zwei unerkannt geflüchtete Täter feuerten am frühen Montagmorgen mehrere Schüsse auf die Villa im Norden Athens ab. Insgesamt wurden nach Angaben der griechischen Polizei 15 Schüsse abgegeben. Die griechische Regierung nahm den Vorfall sehr ernst. Samaras telefonierte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die griechische Polizei erhielt die Anweisung, sofort die Sicherheitsmaßnahmen um die Residenz zu verstärken.
Botschafter Wolfgang Dold, ein besonnener und erfahrener Diplomat, der Deutschland auf dem derzeit wohl heikelsten von Berlin zu vergebenden Botschafterposten nach allgemeiner Ansicht exzellent vertritt, reagierte mit einer betont unaufgeregten Stellungnahme auf den Vorfall: „Ich danke der griechischen Polizei und der Regierung für ihre schnelle Reaktion und ihre Anteilnahme.“ Wer auch immer für die Tat verantwortlich sei, „es wird nicht gelingen, die engen und freundschaftlichen Beziehungen unserer beiden Länder zu beeinträchtigen. Es wird auch nicht gelingen, die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung des Landes umzukehren“, teilte Dold mit. Zuvor hatte sein neuer Chef Frank-Walter Steinmeier den Anschlag mit etwas schärferen Worten verurteilt. „Das ist ein Vorfall, den wir sehr ernst nehmen. Nichts, aber auch gar nichts kann einen solchen Angriff auf einen Vertreter unseres Landes rechtfertigen“, sagte Steinmeier, fügte aber ähnlich wie sein Botschafter hinzu, es werde den Tätern nicht gelingen, „die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland und zwischen Deutschen und Griechen kaputtzumachen“.

Griechenland will sich wieder aus eigener Kraft verschulden können

Dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland „eng und freundschaftlich“ seien, müssen Dold und Steinmeier behaupten, das gehört zu ihrem Beruf. In Wirklichkeit sind diese Beziehungen zumindest in der Wahrnehmung der Deutschen und Griechen miserabel, und schlechter waren sie wohl nur zwischen 1941 und 1944. Zwar ist die Substanz der deutsch-griechischen Kooperation besser als das Klima, doch auch hier gibt es viele Schwierigkeiten, und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich das in den kommenden sechs Monaten der griechischen Ratspräsidentschaft ändern wird. Vielmehr dürfte sich die deutsch-griechische Haftungszwangsgemeinschaft schon bald neuen Belastungsproben ausgesetzt sehen.
Die Athener Regierungskoalition aus Samaras’ Nea Dimokratia und der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) seines Stellvertreters und Außenministers Evangelos Venizelos hat sich für 2014 nämlich drei (halboffizielle) Hauptziele gesetzt, von denen eines auch Deutschland direkt betrifft. Samaras will im April, also noch rechtzeitig vor den Europawahlen, die in Griechenland auch von Kommunalwahlen begleitet werden, einen im Kern und unter bestimmten Bedingungen bereits zugesagten substantiellen neuerlichen Schuldenerlass für sein Land durchsetzen – mit Methoden, die noch zu bestimmen sind, und unter einer Bezeichnung, die in den Geberstaaten, denen die Rechnung dafür präsentiert werden wird, politisch möglichst wenig Widerstand hervorruft. Von einer „endgültigen Lösung für die Schuldentragfähigkeit“ sprechen Athener Beamte und Politiker in Hintergrundgesprächen. Regierungsberater teilen mit, dass zudem geplant sei, einen Teil des durch den erwarteten Schuldenerlass frei werdenden Geldes – von mehreren hundert Millionen Euro ist die Rede – in Form von Sozialleistungen oder Steuererleichterungen an die Bevölkerung zu verteilen. Dies soll vor den Wahlen im Mai geschehen, um den Wählern zu signalisieren: Das Schlimmste ist überstanden, es geht wieder aufwärts. Bis zum Jahresende will Griechenland dann, so lautet das dritte Ziel, Zugang zu den Finanzmärkten haben, um sich künftig wieder aus eigener Kraft überschulden zu können.
Trifft die Prognose der griechischen Zentralbank zu, wird es 2014 tatsächlich erstmals seit Jahren wider verhalten gute Nachrichten aus der Wirtschaft geben. Die Zentralbank prognostiziert für 2014 ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. Es wäre, kommt es tatsächlich so, das erste Wachstum seit 2008. Doch ein so geringes Wachstum nach einem so starken Einbruch ist zu schwach, um sich mehr als nur statistisch auszuwirken. Die meisten Griechen werden davon wohl nichts mitbekommen. Nicht nur deshalb steht zu befürchten, dass die leichte wirtschaftliche Erholung – oder zumindest das Ende der Talfahrt – von einer sich verschlechternden politischen Lage konterkariert wird. Samaras hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die volle Legislaturperiode bis zum Sommer 2016 durchhalten will und nicht an vorgezogene Wahlen denkt.

Auswirkungen auf die Ratspräsidentschaft sind kaum zu befürchten

Doch niemand weiß, wie es um die Stabilität der Koalition bestellt sein wird, sollten die Europa- und Kommunalwahlen tatsächlich in dem befürchteten Desaster für die ND und Pasok enden. Denn die Stimmung der Wähler ist denkbar schlecht. Die Athener Zeitung „To Vima“ zitierte dieser Tage aus einer Umfrage, laut der jeder zweite Grieche sein Land gern verlassen würde, böte sich dazu eine realistische Möglichkeit. Dieselbe Zeitung präsentierte in ihrer letzten Sonntagsausgabe des Jahres auch die jüngste Umfrage des seriösen Athener Meinungsforschungsinstituts Kapa Research. Demnach ist das Linksbündnis Syriza von Oppositionsführer Alexis Tsipras weiterhin stärkste Kraft und könnte bei Wahlen mit 22,5 Prozent Zustimmung rechnen. Die Nea Dimokratia liegt zwar nur etwa einen Prozentpunkt dahinter, doch wäre der Unterschied in den Fraktionsgrößen beträchtlich, weil der Wahlsieger in Griechenland 50 der 300 Parlamentssitze als „Bonus“ erhält. Nur deshalb konnte die Nea Dimokratia im Juni 2012, als sie noch stärkste Partei war, überhaupt eine Regierung bilden. Derzeit fiele dieser Bonus an Syriza – und damit wären im Parlament jene Parteien in der Mehrheit, die den Spar- und Reformkurs ablehnen und alle Vereinbarungen mit Griechenlands Geldgebern aufzukündigen versprochen haben. Allerdings ist die Koalition aus Reformgegnern so bunt gemischt – sie reicht von den griechischen Kommunisten bis zu den Neofaschisten von der „Goldenen Morgenröte“ –, dass ein Ergebnis einer Wahl vermutlich die Unregierbarkeit des Landes wäre. Dies ist einer der Gründe dafür, dass Samaras immer wieder darauf pocht, er wolle das ihm für vier Jahre erteilte Mandat voll erfüllen.
Immerhin ist es keine Premiere mehr, dass ein vom Staatsbankrott bedrohtes Land die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Im zweiten Halbjahr 2012 fiel Zypern diese Rolle zu – wenige Tage, nachdem der geteilte Inselstaat einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen musste, weil Nikosia ohne fremde Hilfe seiner Schuldenlast nicht mehr Herr wurde und ein erhoffter zweiter Milliardenkredit aus Russland ausgeblieben war. Der zyprischen Ratspräsidentschaft merkte man das aber nicht an. Während Zypern auf seinen kontrollierten Bankencrash zusegelte, stampfte die europäische Maschinerie mit beruhigender Routine weiter.

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