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Montag, 19. Mai 2014

Angesichts der Sanktionen des Westens setzt Moskau auf Peking: Präsident Putin sucht die Nähe zu China und dürfte am Dienstag große Gaslieferungen und einen Währungstausch vereinbaren. Fachleute sehen China als Gewinner der Ukraine-Krise.

Putin sucht Nähe zu ChinaChina und Russland könnten neuen Ostblock bilden

Angesichts der Sanktionen des Westens setzt Moskau auf Peking: Präsident Putin sucht die Nähe zu China und dürfte am Dienstag große Gaslieferungen und einen Währungstausch vereinbaren. Fachleute sehen China als Gewinner der Ukraine-Krise.
© DPAVergrößern„Wie alte Freunde von der Universität“: Wladimir Putin und Xi Jinping, hier auf eine Foto aus dem Februar.
Xi Jinping hat Wladimir Putin schon einmal aus der Isolation geholt. Während des Apec-Gipfels im Oktober 2013 auf Bali wurde der russische Präsident 61 Jahre alt. Da er in dem Treffen nur eine Randfigur war, interessierte sich kaum jemand dafür. Allein Chinas neuer starker Mann, der Partei-, Staats- und Militärchef Xi, besuchte den Jubilar in seinem Hotel und gratulierte ihm. Später sagte Putin, man habe Wodka getrunken und Sandwiches gegessen, „wie alte Freunde von der Universität“.
Die beiden Politiker kennen und schätzen sich und wollen die Beziehungen ihrer Staaten seit langem ausbauen. Xis erste Auslandsreise führte folgerichtig nach Moskau. In dieser Woche könnte Peking das Nachbarland abermals aufwerten: Während Putin von Europa und den Vereinigten Staaten geschnitten wird, empfängt Xi den Kollegen am Dienstag zum Staatsbesuch in Schanghai. Dort nehmen die beiden an der wenig bekannten Konferenz für Zusammenarbeit und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA) teil.Vor seiner Abreise nach China sagte Putin, die Beziehungen zwischen Moskau und Peking seien auf einem Höhepunkt: „Der Ausbau der Beziehungen zu China ist zweifellos Russlands diplomatische Priorität.“

Abkommen zu Erdgaslieferungen

Der große Bahnhof für Putin wird mehr sein als ein Signal, dass China es für falsch hält, Russland wegen der Annexion der Krim und seines resolutes Auftretens in der Ukraine international auszugrenzen. Zu erwarten sind weitreichende Wirtschaftsverträge und Ankündigungen. Eine Außenamtssprecherin in Peking verriet, es werde eine gemeinsame Erklärung „von Gewicht“ geben. Geplant scheint eine Vereinbarung zum Währungstausch, wodurch Handel und Investitionen erleichtert würden. Auch wollen die Asiaten eine Partnerschaft mit ihrer Kreditkartengesellschaft Union-Pay anbieten. Sie könnte als Alternative zu Visa und Master-Card dienen, die im Zuge der amerikanischen Sanktionen einige Dienste in Russland eingestellt haben.
Wichtiger noch dürfte ein Abkommen zu russischen Erdgaslieferungen sein. Die Gespräche darüber ziehen sich seit mehr als 20 Jahren hin, doch seit einiger Zeit geht es überraschend schnell vorwärts. In Kürze werde man die Verhandlungen abschließen, kündigte die russische Regierung Mitte April an. China sei zudem an Energievorhaben auf der Krim interessiert, die sich Russland im März einverleibt hatte.
Nach Angaben der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua sagte Putin am Montag, das Abkomme haben die „Endphase“ erreicht. Der staatliche russische Gaskonzern Gazprom hatte schon am Sonntag mitgeteilt, der auf 30 Jahre lautende Liefervertrag stehe kurz vor dem Abschluss.

China entwickelt sich zu Moskaus wichtigstem Kunden hinter der EU

Der Gasvertrag sieht bis 2018 die Inbetriebnahme einer neuen Rohrleitung nach Nordostchina für 38 Milliarden Kubikmeter im Jahr vor. Das ist in etwa die Liefermenge nach Deutschland. Auch entspräche das Volumen 72 Prozent aller heutigen Gaseinfuhren in die Volkrepublik und 21 Prozent ihres gesamten Gasverbrauchs.
Noch liefert Russland kaum Gas hierher, in Zukunft jedoch wird es Turkmenistan von Platz eins der Lieferländer verdrängen.
Umgekehrt entwickelt sich ; allerdings sind die Lieferungen dorthin viermal so hoch. Der jetzige Vertrag mit China ist indes nur ein Anfang. Die Durchleitung nach Nordostchina kann um bis zu 20 Milliarden Kubikmeter im Jahr erhöht werden, überdies ist eine zweite Pipeline nach Nordwestchina für 30 Milliarden Kubikmeter geplant. Sie soll 60 Milliarden Dollar kosten, die Hälfte davon will China zinsfrei vorschießen.
Bisher waren die Abkommen zwischen dem flächengrößten und dem bevölkerungsreichsten Land der Welt stets am Gaspreis gescheitert sowie an der Frage, ob sich dieser am Öltarif orientieren oder festgeschrieben werden soll, wie es China wünscht. Turkmenistan berechnet bis zu 250 Dollar je 1000 Kubikmeter. Russland verlangte dem Vernehmen nach 360 bis 400 Dollar von China, etwa auf europäischem Preisniveau. Hingegen wollte Peking höchstens 300 Dollar zahlen. So wie es aussieht, haben sich die Asiaten mit ihren Vorstellungen weitgehend durchgesetzt.
Dieser Ausgang der Verhandlungen überrascht nicht, denn Russland steht unter Druck, seit sich Europa nach neuen Gasquellen umsieht, etwa in den Vereinigten Staaten. „Die Vorfälle in der Ukraine haben die Verhandlungen enorm beschleunigt und der chinesischen Seite in die Hände gespielt“, sagt Lin Boqiang, Direktor am Forschungszentrum für Energiewirtschaft der Universität Xiamen. „Beim Preis war Peking in einer besseren Position als vor einem halben Jahr.“ Der Professor macht auf den stark steigenden Gasbedarf Chinas aufmerksam, des größten Energieverbrauchers. 2013 wuchs der Verbrauch um 14 Prozent, die Einfuhr um 25 Prozent. Zugleich warnt Lin davor, sich so einseitig auf Russland zu verlassen wie die EU. „Man sieht: Das birgt Risiken.“
Für Wang Yiwei, den Direktor am Institut für Internationale Beziehungen der Volksuniversität in Peking, hat die Entwicklung eine geostrategische Dimension. Aufgrund der Sanktionen brauche Moskau nicht nur Devisen - welche das Gasgeschäft einbringen werde -, sondern auch neue Verbündete. „Wenn China und Russland enger zusammenrücken, ist das nicht gegen Dritte gerichtet, sondern dient der internationalen Stabilität.“ Beide Länder – ständige Mitglieder im Weltsicherheitsrat - seien aufstrebende Mächte, die eine bessere Repräsentation verdient hätten. Doch die Industrieländer verweigerten das bisher, etwa in der Weltbank oder im Weltwährungsfonds.

„Moskau und Peking eint, dass beide dem Westen die Stirn bieten wollen“

Plastischer formuliert es Sebastian Heilmann, Gründungsdirektor des Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin: „Moskau und Peking eint, dass beide dem Westen die Stirn bieten wollen.“ Auf der anderen Seite fänden auch Europa und die Vereinigten Staaten enger zueinander, etwa in Handels- und Energiefragen. In der komfortabelsten Lage befinde sich die Volkrepublik, urteilt Heilmann: „Der Gewinner der Ukraine-Krise heißt China.“  Peking könne nunmehr eine „Schaukelpolitik“ betreiben, was bedeute, sich wahlweise Russland oder dem Westen zuwenden. „Denn beide Regionen werden immer abhängiger von China.“ Der Politologe und Sinologe rät dringend, die Vorgänge in Schanghai aufmerksam zu verfolgen. „Wenn Putin nächste Woche nach China kommt, könnte der Westen sein blaues Wunder erleben.“

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