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Donnerstag, 22. Mai 2014

Griechenland sieht Holthusen indes skeptisch. Zwar habe es auch hier viele Fortschritte gegeben. Die Ausgangslage sei in diesem Fall jedoch so schlecht gewesen, dass das Land wohl nicht ohne weitere Erleichterungen wie einer Streckung der Schuldentilgung und Kuponreduzierungen auskomme


Aufschwung in PeripherieländernFinanzmärkte sehen Europawahl positiv

Die Anleiherenditen in der Peripherie sind zuletzt wieder gestiegen. Viele Marktteilnehmer sehen darin Gewinnmitnahmen, aber keine Trendwende. Sie haben Vertrauen in die EZB und in die Reformen.
© DPAVergrößernÜber Griechenland hängen immer noch dicke Wolken, was der Ausgangslage des Landes geschuldet ist
An der Börse wird die Zukunft gehandelt. Geht es danach, wird es in Europa in den nächsten Jahren wieder sehr viel besser aussehen. Immer mehr Investoren legen ihr Geld in Europa – und hier vor allem in den Peripherieländern – an. Das Ergebnis: die Aktienmärkte in Italien, Spanien, Portugal und Irland zählen zu denen mit der besten Entwicklung auf der Welt in diesem Jahr. Und auch am Anleihemarkt stehen europäische Staatsanleihen – und hier vor allem die Peripherie – ganz oben in der Anlegergunst. Länder wie Italien und Spanien können sich mittlerweile so günstig finanzieren wie nie.
Das schöne Bild hat jedoch Ende vergangener und Anfang dieser Woche einen kleinen Kratzer bekommen. Plötzlich fielen die Aktien- und Anleihekurse in der Peripherie deutlich. Die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen, die bis auf 2,91 Prozent gefallen war, stieg in den vergangenen Tagen auf 3,20 Prozent. Auch die Preise für Kreditausfallderivate (CDS) auf Staatsanleihen haben wieder zugelegt. Entziehen die Märkte der Peripherie wieder das Vertrauen?
© F.A.Z.VergrößernDas Vertrauen der Anleger in die Euro-Peripherieländer wächst
Die Mehrheit der Börsianer teilt diese Befürchtungen nicht. Die Kursverluste vor allem am Freitag und Montag waren nur von kurzer Dauer. Schon am Dienstag und Mittwoch erholten sich die Kurse wieder. Auslöser des Rückschlags waren schwache Wachstumsdaten im Euroraum für das erste Quartal, vor allem für Portugal und Italien, aber auch für die Niederlande. Mit Blick auf die bevorstehende Europawahl sahen einige Anleger einen guten Zeitpunkt für Gewinnmitnahmen. ,,Ich gehe davon aus, dass die Folgen der Europawahl nur kurz zu spüren sein werden“, sagt Christian von Engelbrechten, Fondsmanager von Fidelity: „Auf eine Stärkung der Europa-Skeptiker dürften die Märkte nervös reagieren.“
Nach Wahlumfragen könnte der französische Front National die meisten Abgeordneten aus Frankreich stellen. In Großbritannien könnte dies der Ukip gelingen, die für einen Austritt Großbritanniens aus der EU wirbt. Auch in den Niederlanden und Ungarn könnten rechte Parteien gute Ergebnisse erzielen, in Griechenland die linke Syriza. Insgesamt werden europakritische bis europafeindliche Parteien aber nur auf rund ein Fünftel der Sitze im Europaparlament geschätzt. „Da die Europa-Gegner wohl kaum eine Mehrheit erringen werden, geht von ihnen keine Gefahr für einen durchgreifenden Politikwechsel aus“, sagt Engelbrechten. „Nach den Wahlen dürften die Populisten aus dem rechten Lager angesichts der weiteren wirtschaftlichen Erholung Schritt für Schritt an Einfluss verlieren.“
Die meisten Analysten setzen deshalb auf eine Fortsetzung der guten Entwicklung an den Peripheriemärkten. „Viele Investoren haben die Rally verpasst, für sie könnte es eine gute Gelegenheit zum Einstieg sein“, sagt Jan Holthusen, Leiter der Anleiheanalyse der DZ Bank. Er rechnet mit einer weiteren Verringerung des Risikoaufschlags der Peripherieanleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen. Bundesanleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit rentieren mit gut 1,4 Prozent, spanische mit 3 Prozent. „Der Renditeabstand könnte innerhalb der nächsten zwölf Monate durchaus auf weniger als einen Prozentpunkt sinken“, sagt Holthusen. „Rückschläge sind nicht ausgeschlossen, aber eine Rückkehr in den Krisenmodus dürfte es zunächst nicht mehr geben.“
Die von den Märkten als glaubwürdig eingestufte Aussage von EZB-Präsident Mario Draghi aus dem Juli 2012, alles zu tun, um den Euro zu erhalten, sei zwar der Auslöser für eine positivere Einschätzung der Peripherieländer gewesen. Mitentscheidend für die aktuelle Rally seien aber die Reformfortschritte in den einzelnen Ländern.

Deutliche Verbesserung der Leistungsbilanz

Dies sehen auch die Experten der auf Anleihen spezialisierten Fondsgesellschaft Bantleon so. „Die gute Entwicklung der Peripherieanleihen ist fundamental gerechtfertigt“, sagt Daniel Hartmann, Analyst für Euroanleihen. „Der Schuldenstand steigt zwar in den Ländern noch, die Haushaltsdefizite haben sich jedoch meist deutlich reduziert.“ So ist das Defizit nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat in Griechenland von 2009 bis 2013 von 16 auf 2 Prozent gesunken, in Portugal von 10 auf 4,5, in Spanien von 11 auf knapp 7 und in Irland von 12 auf knapp 7 Prozent. Als weitere wichtige Kenngröße verweist Hartmann auf die deutliche Verbesserung der Leistungsbilanz in den Ländern. Portugal, Spanien und Irland erwirtschaften mittlerweile Leistungsbilanzüberschüsse. In Griechenland ist das Minus deutlich, in Italien zumindest etwas reduziert worden.
Die bessere Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich zudem in der Entwicklung der Lohnstückkosten. Während diese in Deutschland seit dem Jahr 2009 um 4,5 Prozent gestiegen sind, gingen sie in Griechenland um 15, in Irland um 13 und in Spanien und Portugal um rund 7 Prozent zurück. „In den ersten zehn Jahren der Währungsunion haben die Peripherieländer über ihre Verhältnisse gelebt“, sagt Hartmann. „Seit 2010 ist hier aber eindeutig eine Trendwende zu erkennen und mittlerweile ist der zwischen 1999 und 2009 aufgebaute Lohnstückkostennachteil wieder verschwunden.“ Es habe weitreichende Renten-, Arbeitsmarkt und Verwaltungsreformen gegeben.

Sorgen bereiten Italien, Frankreich und die Niederlande

In einen Topf werfen die Anleger die Peripheriemärkte dabei nicht. Während Spanien 3 Prozent und Italien 3,2 Prozent für Anleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit zahlen müssen, sind es in Irland nur 2,8 Prozent, in Portugal jedoch knapp 4 Prozent und in Griechenland mehr als 6 Prozent. „Es gibt im Euroraum keine Peripherie mehr“, sagt deshalb Daniele Antonucci, Volkswirt von Morgan Stanley. Er begründet dies mit der Teilung der Währungsunion in Länder mit stabiler und mit schwacher Konjunktur. Zur ersten Gruppe zählt Antonucci neben Deutschland drei Länder, die bislang der Periphere zugeordnet wurden: Spanien, Portugal und Irland. Sorgen bereiten ihm dagegen Italien, Frankreich und die Niederlande. Ähnlich wie in Italien mangele es Frankreich, das immer zu den Eurokernländern gezählt wird, an Strukturreformen, die Wachstumspotential freisetzten. Die Niederlande belasten nach Ansicht von Antonucci die Probleme am zuvor überhitzten Immobilienmarkt.
Doch das schwächste Land sei Italien, betont Antonucci, ein in London lebender Italiener. Das Tempo der Verschlechterung sei in Frankreich zwar ähnlich hoch, aber das Land habe eine bessere Ausgangsposition als Italien gehabt. Antonucci warnt vor dem nächsten Abschwung, der Italien besonders stark treffen könnte. Italien benötige entweder ein außergewöhnlich starkes Wachstum oder einen sehr hohen Primärüberschuss (Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen), um die hohe Staatsverschuldung zu senken. Antonucci hält dies deshalb für fast unmöglich. Die EU-Kommission erwartet eine Staatsverschuldung Italiens in diesem Jahr von 135 Prozent. In Spanien erwartet Brüssel Ende des Jahres mehr als 100 Prozent. Zudem habe Spanien, das durch eine Immobilien- und Bankenkrise in Schwierigkeiten geraten war, mehr Möglichkeiten die Staatsverschuldung zu senken. Als weiteren Vorteil betrachtet der Morgan-Stanley-Volkswirt die größere politische Stabilität in Spanien.

Holthusen sieht Griechenland skeptisch

Auch Holthusen sieht in Italien die größten Defizite. „Der Arbeitsmarkt ist noch sehr verkrustet, die Bürokratie ist verfilzt, und es fehlt die Einsicht der Bevölkerung in Reformen.“ Im Vergleich mit Spanien würde Holthusen daher eindeutig die Iberer den Italienern vorziehen. Dabei rät er neben den Staatsanleihen auch zum Kauf von Anleihen größerer Banken und Unternehmen in den Peripherieländern.
Auch Irland und Portugal seien auf gutem Wege. „Hier würde ich die Reformen erst einmal wirken lassen und vorerst nicht noch mehr draufsatteln“, sagt Holthusen. „Es bleibt eine Daueraufgabe, nicht wieder zurückzufallen und Begehrlichkeiten einzelner Lobbygruppen abzuwehren.“ In dieser Hinsicht habe Deutschland mit seiner aktuellen Renten- und Arbeitsmarktpolitik die falschen Signale geliefert. „Deutschland ist in der Krise als Schulmeister aufgetreten und tut nun im eigenen Land das Gegenteil dessen, was anderen Ländern abverlangt wurde.“
Griechenland sieht Holthusen indes skeptisch. Zwar habe es auch hier viele Fortschritte gegeben. Die Ausgangslage sei in diesem Fall jedoch so schlecht gewesen, dass das Land wohl nicht ohne weitere Erleichterungen wie einer Streckung der Schuldentilgung und Kuponreduzierungen auskomme. Die Ankündigung der EZB, weitere Maßnahmen zur Krisenbekämpfung zu ergreifen, hält Holthusen für unnötigen Aktionismus. „Die Anpassung in Südeuropa braucht eine gewisse Deflation, und das Kernproblem der zu geringen Kreditvergabe in Südeuropa wird die EZB nicht lösen können.“
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