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Freitag, 24. Juli 2015

Formal geht es bei den fälligen Zinsen für eine bis 2017 laufende Anleihe nicht um sehr viel: gerade 120 Millionen Dollar (110,4 Millionen Euro) sollen internationale Gläubiger erhalten, ehe dann am 23. September weitere 500 Millionen Dollar und im Dezember dann satte drei Milliarden Dollar fällig werden. Alles zusammen ist Teil jener 19 Milliarden Dollar, die Kiew internationalen Privatinvestoren schuldet.



09:09

Staatsverschuldung

Heute könnte die Ukraine pleitegehen

Die Ukraine ist tief in den Miesen, Schulden sind fällig. Zahlt der größte Flächenstaat Europas nicht, droht ein weiterer Verfall der Währung und die Pleite. Doch das kann Vorteile haben. Von 
In der Ukraine ist man nicht unglücklich darüber, dass sich der Schulden-Poker zwischen Europäischer Union und dem Sorgenkind Griechenland (Link: http://www.welt.de/144349010) schon über Monate hinzieht. Die politische und mediale Aufmerksamkeit fokussiert sich auf den Staat im Süden Europas, während in der Ukraine ein wirtschaftliches Desaster eher unbemerkt seinen Lauf nimmt.
Schon am Freitag könnte der größte Flächenstaat Europas mit seinen 45 Millionen Einwohnern die Voraussetzungen für einen "technical default" schaffen, also eine Staatspleite – hervorgerufen nicht etwa aufgrund der mangelnden materiellen Fähigkeit, Auslandsschulden zu bedienen, sondern aufgrund des fehlenden Willens.
Formal geht es bei den fälligen Zinsen für eine bis 2017 laufende Anleihe nicht um sehr viel: gerade 120 Millionen Dollar (110,4 Millionen Euro) sollen internationale Gläubiger erhalten, ehe dann am 23. September weitere 500 Millionen Dollar und im Dezember dann satte drei Milliarden Dollar fällig werden. Alles zusammen ist Teil jener 19 Milliarden Dollar, die Kiew internationalen Privatinvestoren schuldet.
Allerdings hat sich die Ukraine selbst gesetzlich dazu ermächtigt, die Zahlungen per Moratorium auszusetzen, wenn sie das denn möchte. Sie begründet das Gesetz zum einen mit dem "Schutz nationaler Interessen".
Und außerdem damit, dass der Internationale Währungsfonds (IWF), der dem Land 17,5 Milliarden Dollar an Krediten zugesagt und knapp ein Drittel davon schon ausbezahlt hat, eine Verringerung der Schuldenlast um 15 Milliarden Dollar innerhalb von vier Jahren fordert.
"Die Situation ist in dieser Hinsicht durchaus mit Griechenland (Link: http://www.welt.de/144340040)vergleichbar", erklärt Vasily Astrov, Ukraine-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). "Das Land steht nämlich vor der Frage, ob es schlimmer ist, die Schulden zu bedienen oder nicht."
So gesehen könne man dem Freitag große Symbolkraft beimessen, sagt Dmitry Bojartschuk, Staatsschuldenexperte am Kiewer Wirtschaftsinstitut "Case", der "Welt". "Er wird zeigen, wo die Ukraine steht und wozu sie bereit ist."
Die ukrainische Regierung deutete bereits an, dass sie einen Schuldenschnitt von 40 Prozent bei den Privatgläubigern durchsetzen will. Dazu niedrigere Zinssätze auf die Anleihen und eine Streckung der Laufzeiten. Allerdings wollen die Gläubiger von einem Schuldenschnitt nichts wissen. Seit Wochen wird mit einigen von ihnen, darunter vor allem der Investmentfonds Franklin Templeton, verhandelt. Die internationale Investmentbank Lazard, die von der Ukraine als Berater und Vermittler engagiert worden war, lehnte einen Kommentar auf Anfrage jedoch ab. Das ukrainische Finanzministerium war für eine Stellungnahme ebenfalls nicht zu erreichen.

Ausgebeutet von Eliten

Kiews Pokern als mutwillig zu bezeichnen, würde zu kurz greifen. In Wahrheit steht das Land wie kein zweites in Europa mit dem Rücken zur Wand und hat kaum Spielraum. Über Jahre hinweg ausgebeutet von schwer korrupten Eliten und an der Entwicklung gehindert, muss die Ukraine nun auch noch den Konflikt mit den Separatisten im Osten des Landes(Link: http://www.welt.de/144315987) wegstecken.
Die vom IWF verordnete Schocktherapie etwa in Form radikal erhöhter Energiepreise, trägt das ihre dazu bei. Im Vorjahr brach die Wirtschaftsleistung um 6,8 Prozent ein und wird im laufenden Jahr auch ohne Pleite um neun bis zehn Prozent schrumpfen. Die Landeswährung hat in eineinhalb Jahren fast zwei Drittel ihres Werts verloren, was die Inflation 2015 auf über 50 Prozent trieb und die Kaufkraft mindert.
Um über 20 Prozent ging der Einzelhandelsumsatz in den ersten fünf Monaten dieses Jahres zurück. Das spüren auch die ausländischen Handelspartner: Die deutschen Exporte in die Ukraine sanken laut Statistischem Bundesamt im Vorjahr um ein Drittel (33,1 Prozent) und in den ersten vier Monaten 2015 um weitere 30 Prozent. Wie es den Banken geht, zeigen die Zahlen der Raiffeisen International (RBI), die als größte Auslandsbank im Land gilt: RBI stuft mittlerweile 52,3 Prozent ihrer sich insgesamt auf 2,47 Milliarden Euro belaufenden Kredite als notleidend ein.

EU verspricht Zahlungen

Die EU hat die Dramatik der Situation ebenso erkannt wie der IWF. Am Mittwoch hat die EU-Kommission dem Land daher Finanzhilfen in Höhe von 600 Millionen Euro überwiesen. Dies ist die erste Zahlung aus einem neuen Hilfsprogramm über insgesamt 1,8 Milliarden Euro. Die restlichen 1,2 Milliarden Euro will die Kommission "in den kommenden Monaten" auszahlen.
Wenn Kiew nun am Freitag die Zahlung an die Gläubiger verweigert, so droht nicht nur ein Imageverlust. Zwar bestünde noch eine zehntägige Gnadenfrist, bis die Staatspleite verkündet würde. Aber danach würde wohl das Länderrating herabgestuft, so Bojartschuk. Vor allem aber dürfte der kurzfristige Schock die Währung nochmals nach unten ziehen, was den Import abermals verteuern und die Inflation weiter anheizen würde.
Nach dem kurzfristigen Schock könnte das Zahlungsmoratorium mittelfristig aber durchaus Vorteile mit sich bringen, meint Experte Astrov: Die Ukraine würde Geld sparen, immerhin seien fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts als jährliche Ausgaben für den Schuldendienst veranschlagt. "Mittelfristig wäre ein 'technical default' gar nicht so schlecht."

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