Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Sonntag, 12. Juni 2016

erienwohnungen Die Hauptstadt setzt auf Denunzianten Im Kampf um knappen Wohnraum ist dem Berliner Senat jedes Mittel recht. Nachbarn sollen Vermieter von Ferienwohnungen anonym melden.

erienwohnungenDie Hauptstadt setzt auf Denunzianten

Im Kampf um knappen Wohnraum ist dem Berliner Senat jedes Mittel recht. Nachbarn sollen Vermieter von Ferienwohnungen anonym melden.
 von HENDRIK WIEDUWILT UND 
© ULLSTEINBerliner Modell: Die gesamte Nachbarschaft im Blick
Berliner, die sich nachts über feiernde Touristen in der Ferienwohnung über ihnen oder den Müll im Treppenhaus geärgert haben, können ihrer Wut seit ein paar Wochen direkt Luft machen – sie sollen es sogar: Von der Senatsverwaltung aufgefordert, sollen Hobbyermittler ihre Nachbarn, die über Online-Portale wie den Wohnraumvermittler Airbnb oder andere Wege Wohnungen an Urlauber vermieten, auf einer eigens dafür eingerichteten Internetseite anschwärzen. Abgefragt wird nicht nur die Adresse der mutmaßlich „zweckentfremdeten“ Wohnung, sondern auch Name und Anschrift des Eigentümers und die Art seines Vergehens: ob er die Wohnung als Ferienwohnung nutzt, dort Fremde beherbergt oder sie gar leer stehen lässt. All das soll der pflichtbewusste Nachbar eintragen, auf dass das zuständige Bezirksamt einmal der Sache auf den Grund gehe. Nur eine Kleinigkeit muss er nicht angeben: seinen eigenen Namen. Die Meldung ist anonym.
Mehr zum Thema
Das staatlich geförderte Denunziantentum soll helfen, das sogenannte Zweckentfremdungsverbot aus dem Jahr 2013 durchzusetzen. Seit Anfang Mai gilt es in verschärfter Form. Es soll dafür sorgen, dass der knappe Wohnraum nicht dem regulären Markt entzogen wird, zum Beispiel, indem man ihn als Ferienwohnung nutzt. Am Mittwoch wies das Verwaltungsgericht Berlin verfassungsrechtliche Zweifel an dem Gesetz zurück – allerdings ist die Entscheidung nicht rechtskräftig.

Freude über den Erfolg

In der Senatsverwaltung freut man sich über den Erfolg des Portals: In den ersten fünf Wochen habe man 1871 Hinweise zu möglichen Verstößen zur Prüfung an die Bezirksämter weitergeleitet, heißt es in der Stadtentwicklungsbehörde. Dass man mit dieser Seite Menschen ein einfaches Mittel in die Hand gibt, dem ungeliebten Nachbarn unangenehmen Besuch vom Bezirksamt zu bescheren, selbst wenn er keine Ferienwohnung hat – davon will man bei der Senatsverwaltung nichts wissen: „Wer nichts Illegales getan hat, muss auch nichts befürchten“, sagt Martin Pallgen von der Stadtentwicklungsbehörde. Die Einfachheit des Verfahrens leiste der Denunziation keinen Vorschub. Man könne schließlich auch anonym eine Postkarte schreiben, um auf illegale Ferienwohnungen hinzuweisen.
 
Knapper Wohnraum in Berlin: Die Hauptstadt setzt auf Denunzianten.
In der Reisebranche hat man einen anderen Blick auf die Internetseite der Stadt. „Was in Berlin passiert, ist ungeheuerlich“, sagt Bernd Muckenschnabel, der Chef des Hausanbieters Novasol. Der Deutsche Ferienhausverband sieht in der Denunziationsseite die Adaption einer britischen Idee. Dort hatte das Arbeitsministerium Bürger aufgerufen, Sozialversicherungsbetrüger anzuschwärzen. Der Umfang der angefragten Daten sei nahezu identisch, hat Verbandsvertreter Göran Holst beobachtet.
© DPA, REUTERSAirbnb & Co: In Berlin bleiben Ferienwohnungen illegal

Jeder Bürger ist gefragt

Die Berliner Datenschutzbehörde findet das Vorgehen dagegen völlig in Ordnung. „Jeder Bürger kann natürlich auf jedem Wege per Post oder online Verstöße melden“, sagte eine Sprecherin. Das Portal sei ein zusätzlicher Kommunikationsweg, Denunziantentum sei das nicht. „Wenn Sie sehen, dass ein Nachbar am Straßenrand einen Kühlschrank hinstellt, können Sie auch sofort bei der Polizei Anzeige erstatten.“
Doreen Welke - Die Mieterin muss nach 26 Jahren ihre Wohnung in Berlin im Stadtteit Friedrichshain verlassen, nachdem der Eigentümer Eigenbedarf angemeldet hat.© MATTHIAS LÜDECKEVergrößernDie Vermieter von Ferienwohnungen sehen sich als Sündenböcke für eine verfehlte Wohnungspolitik.
Schon früher hatte sich Berlin mit allen Tricks darum bemüht, Wohnraumsündern auf die Schliche zu kommen. Manch ein Vorschlag ging den Datenschützern aber zu weit. So wollte ein Stadtrat automatisiert Internet-Plattformen anzapfen, auf denen Wohnungen angeboten werden. Auf Proteste des Datenschutzbeauftragten hin wurde der Vorschlag fallengelassen – teilweise. Das verschärfte Zweckentwendungsverbot verpflichtet die Plattformen zur Kooperation. Wie aufgeheizt die Stimmung in Berlin ist, zeigt, dass schon vor dem Start der Senatsseite ein privater Denunziations-Blog online war. Dort wurden Berliner aufgefordert, illegale Ferienwohnungen zu melden, um den Bezirksämtern zu helfen: öffentlich, unter voller Namensnennung des vermeintlichen Sünders – eine moderne Version des mittelalterlichen Prangers.
In Berlin fehlen jedes Jahr etwa 20.000 Wohnungen. Im vergangenen Jahr wurden 12.500 Wohnungen gebaut, davon aber nur 1500 von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, der Rest von privaten Investoren. „Unsere Gesellschaften müssen sich erst wieder so aufstellen, dass sie bauen können, bisher haben sie vor allem den Bestand gepflegt“, rechtfertigt Behördensprecher Pallgen die geringe Zahl. Die konservativ geschätzt 15.000 Ferienwohnungen würden das Problem zwar nicht lösen, sie könnten die Lage jedoch entspannen.

Vermieter sehen sich als Sündenböcke

Die Vermieter von Ferienwohnungen sehen sich hingegen als Sündenböcke für eine verfehlte Wohnungspolitik. Lange stand das amerikanische Online-Portal Airbnb, über das Eigentümer Wohnungen für einzelne Nächte an Urlauber vermitteln lassen können, als Wohnraumvernichter in der Kritik. Längst haben sich traditionelle Ferienwohnungsanbieter dem Protest angeschlossen. Das Gesetz trifft nicht nur Privatleute, die heimlich aus Wohnungen hotelähnliche Unterkünfte machen. Es trifft auch Menschen wie Stephan la Barré, der vor mehr als zehn Jahren eine alte Autowerkstatt in Berlin-Moabit kaufte, sanierte und in Ferienwohnungen umwandelte. Damals war Wohnraum reichlich vorhanden, das Bauamt habe nichts gegen Ferienwohnungen gehabt. Allerdings beantragte er im Bauantrag die Umwandlung in Wohnraum, nicht in Gewerbefläche – ein Fehler, der ihm jetzt zum Verhängnis wird. Er darf seine Ferienwohnungen, die nie regulärer Wohnraum waren, nicht mehr an Reisende vermieten. Sein Unternehmen Berlinlofts, über das er 15 Ferienwohnungen vermittelt, könne er nun dichtmachen, seine sechs Mitarbeiter entlassen, sagt la Barré.
Die Branche ärgert, dass anscheinend zwischen guten und schlechten Ferienwohnungen unterschieden wird. Denn auch die städtische Berliner Wohnungsgesellschaft Berlinovo bietet Kurzzeitunterkünfte an. Für Wohnraum, der für „gewerbliche oder sonstige berufliche Zwecke“ verwendet wird, sieht das Gesetz eine Ausnahme vor, während „Fremdenbeherbergung“ ausdrücklich als Zweckentfremdung genannt ist. Der Europäische Ferienhausverband EHHA hat angekündigt, den Streit um das Berliner Gesetz zur EU-Kommission zu tragen. Zuletzt bekam schon Airbnb Schützenhilfe von der Kommission, als deren Vizepräsident die Mitgliedstaaten dazu aufrief, neuen Anbietern wie Airbnb oder dem Fahrdienstvermittler Uber nicht das Geschäft zu erschweren. Verbote könnten nur das allerletzte Mittel sein. Binnenmarktkommissarin Elzbieta Bienkowska hatte in dieser Zeitung gesagt, man könne neue Dienste wie Airbnb so wenig aufhalten wie den Buchdruck im Mittelalter.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen