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Samstag, 20. August 2016

Burkadebatte in der Schweiz Ein Gefängnis aus Stoff KOMMENTARvon Eric Gujer19.8.2016, 11:55 Uhr Vollschleier wie Burka und Nikab gehören nicht nach Europa. Sie stellen eine Kampfansage an die Werte der Aufklärung dar, und sie degradieren Frauen zu Objekten männlicher Verfügungsgewalt.


Burkadebatte in der Schweiz
Ein Gefängnis aus Stoff

KOMMENTARvon Eric Gujer
Vollschleier wie Burka und Nikab gehören nicht nach Europa. Sie stellen eine Kampfansage an die Werte der Aufklärung dar, und sie degradieren Frauen zu Objekten männlicher Verfügungsgewalt.
Die totale Verschleierung von Frauen – im Bild ein Nikab – findet sich hauptsächlich in Saudiarabien, den Golfstaaten und in Afghanistan. (Bild: Fred Ernst / AP Photo)

Die totale Verschleierung von Frauen – im Bild ein Nikab – findet sich hauptsächlich in Saudiarabien, den Golfstaaten und in Afghanistan. (Bild: Fred Ernst / AP Photo)


Kleidung ist mehr als Garn und Faden. Sie verrät den sozialen Status, sie bringt eine religiöse Überzeugung zum Ausdruck, oder sie unterstreicht die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Tragen zu dürfen, was man will, ist unmittelbare persönliche Freiheit. Totalitäre Regime stecken schon Kinder in Uniformen. Kleider, dieser Satz stimmt heute wie zu Gottfried Kellers Zeiten, machen Leute. Wer was anzieht oder eben nicht, war schon immer ein Politikum. So ist es nicht verwunderlich, dass die Serie von islamistischen Anschlägen dieDiskussion über ein Verbot der Burka (oder präziser: des in Saudiarabien üblichen Nikab, siehe Grafik) befeuert.
In dem schwarzen Schleier, der nur ein schmales Gesichtsfeld freigibt, prallen zwei Welten aufeinander: das Grundrecht auf freie Religionsausübung und das Recht eines Staates, die Grundsätze des «gesellschaftlichen Zusammenlebens» zu regeln. Mit dieser Argumentation billigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das französische Vermummungsverbot, das allgemein formuliert, aber auf Trägerinnen des Nikab gemünzt ist. Der Schutz von «Rechten und Freiheiten anderer» könne schwerer wiegen als individuelle Freiheitsrechte, befanden die Richter.

Kein Symbol des Islam

Bei der Bewertung der Burka handelt es sich um eine klassische Abwägung zwischen zwei Grundrechten, wie sie die Praxis des Verfassungsrechts zuhauf kennt. Aus prinzipiellen staatspolitischen Erwägungen kann laut den Strassburger Richtern das Verbot angeordnet werden, selbst wenn es keine zwingenden sachlichen Gründe gibt – etwa eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Dass man eine Bombe auch auf andere Weise verstecken kann, wie von den Gegnern des Verbots gerne vorgebracht wird, ist also unerheblich.
Europäische Bürgerrechtstradition und Burkaverbot schliessen sich nicht aus.
Europäische Bürgerrechtstradition und Burkaverbot schliessen sich nicht aus. Diese Vorbemerkung ist wichtig, weil häufig so getan wird, als stelle schon die blosse Debatte einen Verrat an den Errungenschaften der Aufklärung oder eine Diskriminierung der Muslime dar. Ohnehin ist der schwarze Schleier ungeeignet, um die Stellung des Islam in Europa zu erörtern, wie gerade der Vergleich mit dem Kopftuch deutlich macht.

Unterschied zum Kopftuch

Viele Musliminnen betrachten das Tragen eines Kopftuchs als religiöse Pflicht, als unveräusserlichen Bestandteil ihres Glaubens. Daher ist diese Form der Kopfbedeckung in nahezu allen islamischen Ländern verbreitet. Die totale Verschleierung hingegen findet sich hauptsächlich in Saudiarabien, den Golfstaaten und in Afghanistan mit der verschärften Variante der Burka. Selbst Iran, Schauplatz der ersten islamistischen Revolution, kennt keine derart radikale Verhüllung des weiblichen Körpers.
Nikab und Burka sind gerade keine Symbole des Islam, sondern ein regionaler Brauch, der nicht durch die Glaubensfreiheit geschützt wird. Auch die Genitalverstümmelung fällt nicht unter das Religionsprivileg, nur weil sie in einigen muslimisch geprägten Ländern praktiziert wird.
Toleranz bedeutet nicht, alles anzuerkennen, was von aussen an eine Gesellschaft herangetragen wird.
Der Ganzkörperumhang ist ein politisches Statement. Wer in Europa einen Nikab trägt, bekennt sich zu jenem ultraorthodoxen Islam der Wahhabiten und der Taliban. Sein Fanatismus und seine Intoleranz bedeuten im Wortsinn eine Kampfansage an die Werte der Aufklärung, denn Kaida und Islamischer Staat haben den gewaltbereiten Puritanismus zur weltanschaulichen Grundlage ihrer Welteroberungsphantasien gemacht. Man muss schon arg vom Bazillus des Werterelativismus angekränkelt sein, um dieser Ideologie des Hasses einen Platz in Europa zuzugestehen.
Toleranz bedeutet nicht, alles anzuerkennen, was von aussen an eine Gesellschaft herangetragen wird. Diese Feststellung muss man sich in Zeiten von Globalisierung, Migration und einem verbreiteten Gefühl des «Anything goes» immer wieder in Erinnerung rufen. Auch der weltoffene, freiheitlich-pluralistische Staat hat die Aufgabe, eigene Massstäbe zu setzen und zu verteidigen. Nicht der Islam als solcher, aber bestimmte Interpretationen fordern unsere Werteordnung heraus. Sie erfordern Antworten, weil das Zusammenleben einer säkularen Mehrheitsgesellschaft mit der muslimischen Minderheit manchmal Probleme aufwirft.

Das Individuum wird aufgehoben

Die volle Verschleierung steckt Frauen in ein Gefängnis aus Stoff, das sie sinnbildlich aus der Gesellschaft verbannt und zu Objekten männlicher Verfügungsgewalt degradiert. Wer sein Gesicht nicht zeigt, sich unkenntlich macht, ist nicht existent. Das Individuum wird aufgehoben, auch wenn es sich das Tuch freiwillig überstreift. Der Nikab passt definitiv nicht in eine Welt, in der Gleichberechtigung herrscht. Ein Verbot ist Symbolpolitik im besten Sinn: Es lässt keinen Zweifel daran, dass die systematische Benachteiligung eines Geschlechts nicht zu Europa gehört.
Weil bewusst ein Zeichen gesetzt werden soll, spielt es auch keine Rolle, ob der Schleier in der Schweiz ein Massenphänomen darstellt. An einem seltenen, aber exemplarischen Beispiel wird deutlich gemacht, welche Spielregeln gelten. Migration hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Einwanderer ein Frauenbild akzeptieren, das auf Selbstbestimmung gründet und nichts mit den patriarchalischen Verhältnissen in vielen muslimischen Gesellschaften gemein hat. Diese Botschaft ist nach den Ereignissen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht nötiger denn je.

Regelung mit Augenmass

Der Kanton Tessin hat ein Burkaverbot ausgesprochen, zugleich sammelt ein SVP-nahes Komitee Unterschriften für eine entsprechende Volksinitiative. Parteien und Stimmbürger müssen Stellung beziehen, und in allen politischen Lagern fallen die Meinungen geteilt aus. Ein Verbot in die Verfassung zu schreiben, wäre allerdings unsinnig, weil diese so zum beliebigen Endlager für ewige Glaubenssätze verkommt. Ohne eine Beschränkung auf die wirklich zentralen Normen wird unser Grundgesetz schleichend entwertet.

Sinnvoller erscheint ein Gegenvorschlag, der das Tragen des Nikab auf Gesetzesstufe untersagt. Ein Gesetz kann den tagespolitischen Erfordernissen gemäss ergänzt werden, es gibt Verwaltung und Gerichten eine gewisse Flexibilität. Mit solch einer verhältnismässigen Regelung lässt sich auch umso leichter der Unterschied zu dem in die Verfassung gerutschten unseligen Minarettverbot begründen. Dieses weist gerade keine Abstufungen auf und zielt auf den Islam insgesamt. Schliesslich gehören nach landläufiger Vorstellung Minarette zu Moscheen wie die Türme zu den Kirchen – auch wenn beide Religionen Gotteshäuser ohne diese Attribute kennen. Man möchte damit den Islam so weit als möglich marginalisieren und aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannen. Ein Burkaverbot bezweckt genau das Gegenteil. Musliminnen sollen ihr Gesicht zeigen und selbstbestimmt ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen.

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