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Dienstag, 27. Dezember 2016

Die technische Abwicklung des AIA ist komplex. Vorgesehen sei eine zentrale globale Datenplattform, sagt Dirk Lindemann, Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Die nationalen Behörden sollen dann die Zugangsberechtigung für die sie betreffenden Daten haben. Das scheint als sicherere Variante zu gelten als ein jeweils direkter Datenaustausch zwischen den rund 100 beteiligten Staaten. Die Kehrseite der Zentralisierung ist aber das Klumpenrisiko: Die globale Datenbank mit Abermillionen von Finanzdatensätzen könnte Hacker anziehen wie das Licht die Mücken.


Steuertransparenz
Die kommende Flut der Finanzdaten

von Hansueli Schöchli
Ab 2017 muss der Finanzsektor riesige Datensammlungen über die Kunden bereithalten. Jährlich dürften über eine Million Datensätze von der Schweiz ins Ausland fliessen.

Ab Anfang 2017 gilt es ernst. Dann mutiert für die Schweiz der internationale Austausch von Daten über Finanzkunden (AIA) vom politischen Slogan zur gelebten Praxis. Das Gesetz und die Verordnung des AIA treten zum Jahresbeginn in Kraft. Die Schweizer Finanzinstitute müssen ab dann unter anderem Bankverbindungen, Kontonummern, Kontostand, Zinsen, Dividenden und Verkaufserlöse von Steuerpflichtigen aus Partnerstaaten als Datensatz für die Verwendung durch ausländische Steuerbehörden zur Verfügung stellen. Die Daten von 2017 sind die ersten, welche die Schweiz im Rahmen des AIA austauschen wird; der Austausch selbst passiert jeweils im Folgejahr (erstmals somit 2018).

Die Statistik soll es richten

Weltweit haben sich rund 100 Länder verpflichtet, den AIA einzuführen. Auf Anfang 2017 treten namentlich die Schweizer Abkommen mit der EU, Australien und Japan in Kraft. Die schon unterzeichneten und noch geplanten Abkommen mit Dutzenden weiterer Länder sollen ein Jahr später folgen. Die Schweiz dürfte dann jedes Jahr über eine Million Datensätze ausländischen Steuerbehörden zur Verfügung stellen, schätzt Hans-Joachim Jaeger, AIA-Experte bei der Beratungsfirma Ernst & Young. Die Steuerbehörden in diversen Ländern zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie mit der kommenden Datenflut umgehen sollen. Ein automatischer Abgleich erhaltener Informationen mit einheimischen Steuerdaten wird laut Jaeger in der Praxis kaum möglich sein. Einer der Gründe: Die Steuersysteme der Sendeländer stimmten zum Teil nicht mit jenen in den Empfängerländern überein.

Ansammlungen von Daten sind auch für Hacker attraktiv. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Ansammlungen von Daten sind auch für Hacker attraktiv. (Bild: Karin Hofer / NZZ)


In Ländern wie Deutschland und Grossbritannien ist deshalb laut Jaeger die Nutzung der Datenflut mittels statistischer Analyseprogramme in Diskussion. Solche Programme könnten typische Zusammenhänge untersuchen – zum Beispiel zwischen Kundenvermögen und Erträgen, zwischen Vermögen und der Summe zurückgeforderter ausländischer Verrechnungssteuern oder zwischen dem Vermögen und den deklarierten Vermögensverwaltungskosten. Die statistischen Ausreisser – zum Beispiel jene 5% der Fälle, die gemäss mehreren Kriterien am stärksten von der «Norm» abweichen – kämen dann auf eine Liste, welche die Steuerbehörden für die Auswahl vertiefter Einzelprüfungen verwenden könnten.
Der AIA ist keine Einbahnstrasse. Die Schweizer Steuerbehörden rechnen ebenfalls mit einer erheblichen Datenmenge, die sie aus dem Ausland erhalten. Wie die hiesigen Steuerbehörden mit solchen Daten umgingen, hänge vom Datenvolumen ab, sagt Jakob Rütsche, Chef der Thurgauer Steuerverwaltung und Präsident der Schweizerischen Steuerkonferenz (des Verbunds der kantonalen und eidgenössischen Steuerbehörden). Vermutlich seien bei grossen Beträgen Kontrollen über die korrekte Versteuerung angesagt. Rütsche verweist aber auf Mutmassungen, wonach es ein bis zwei Millionen Datensätze pro Jahr geben könnte. Die Möglichkeit statistischer Datenanalysen scheint bei Schweizer Steuerbehörden zurzeit noch kein Thema zu sein.
Ob dem Schweizer Fiskus mit dem AIA viele Steuersünder ins Netz gehen werden, muss sich zeigen. Auch in der Schweiz ist Steuerhinterziehung kein Fremdwort. Deren Ausmass ist Gegenstand kontroverser Schätzungen (NZZ 16. 12. 16). Anekdoten lassen mutmassen, dass etwa bei Banken im grenznahen Raum Deutschlands und in Liechtenstein unversteuerte Schweizer Kundengelder eine erhebliche Rolle spielen könnten. Dass Liechtenstein sich zunächst gegen ein AIA-Abkommen mit der Schweiz gesträubt hat, dürfte kein Zufall sein. Nun verdichten sich aber die Anzeichen, dass die Schweiz auch mit Liechtenstein ein Abkommen unterzeichnen wird, welches 2018 in Kraft treten könnte.
Der Hauptzweck des Informationsaustauschs liegt weniger in der Verwendung der Daten als im Drohpotenzial – das Steuerpflichtige dazu «motivieren» soll, undeklarierte Gelder offenzulegen, um wieder ruhig schlafen zu können. Seit 2010 können Pflichtige in der Schweiz einmal ihre unversteuerten Gelder straffrei offenlegen. Bis Frühjahr 2016 haben laut Bundesrat rund 22 000 Steuerpflichtige total knapp 25 Mrd. Fr. offengelegt – was etwa 2% aller deklarierten Reinvermögen ausmacht. Der nahende AIA könnte manche Pflichtige «inspiriert» haben. 2016 legten Steuersünder laut Jakob Rütsche mehr offen als in jedem der sechs Vorjahre.

Zentrale Datensammlung

Die technische Abwicklung des AIA ist komplex. Vorgesehen sei eine zentrale globale Datenplattform, sagt Dirk Lindemann, Informatikchef der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Die nationalen Behörden sollen dann die Zugangsberechtigung für die sie betreffenden Daten haben. Das scheint als sicherere Variante zu gelten als ein jeweils direkter Datenaustausch zwischen den rund 100 beteiligten Staaten. Die Kehrseite der Zentralisierung ist aber das Klumpenrisiko: Die globale Datenbank mit Abermillionen von Finanzdatensätzen könnte Hacker anziehen wie das Licht die Mücken.

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