Neben dem Thomas Piketty sollte man künftig vielleicht auchden IT-Spezialisten Hervé Falciani, zu denen zählen, die unser Wissen über die Ungleichheit besonders vorangebracht haben. Piketty hat das Thema mit dem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" auf die Agenda gesetzt. Falciani hat der Schweizer Tochter der Großbank HSBC Daten ihrer gut 30.000 vermögenden Kunden entwendet (SwissLeaks). Sie zeigen, dass Vermögen und Kapitaleinkommen der Reichen deutlich größer sind, als die offiziellen Daten erkennen lassen.
 Wie viel größer Enkommen und Vermögen der Reichsten sind als bekannt, das hat ein skandinavisch-amerikanisches Forscherteam nun ermittelt, indem es die sogenannten Swiss-Leak-Daten Falcianis mit den Steuerdaten der betroffenen Bankkunden aus Schweden, Dänemark und Norwegen sowie mit bisherigen Schätzungen der Steuerhinterziehung verglichen hat. Kaum einer der Kunden der Schweizer HSBC hatte sein Konto pflichtgemäß angegeben.
"Tax Evasion and Inequality", Steuervermeidung und Ungleichheit, heißt die sehr aufwendige Studie, die die norwegische Steuerexpertin Annette Alstadsaeter und die Ökonomen Niels Johannesen und Gabriel Zucman von den Universitäten Kopenhagen und Berkeley unter Mithilfe von Steuer- und Statistikbehörden erstellt haben. Sie stellen heraus, warum die HSBC-Daten solch ein Glücksfall für Forscher sind: "Der Leak kann als Zufallsereignis betrachtet werden, und er betrifft einen großen und repräsentativen Spieler in der Offshore-Vermögensverwaltungsbranche."
Die Ergebnisse sind beeindruckend. Angehörige der oberen Vermögensverteilung, also Haushalte mit mehr als 45 Millionen Dollar Vermögen, hinterziehen durchschnittlich 30 Prozent ihrer Steuerschuld, schätzen die drei Forscher auf Basis ihrer Datenabgleiche. Das ist etwa das Zehnfache des Bevölkerungsdurchschnitts. Auf diesen hohen Wert kommen sie, indem sie verfügbare Schätzungen des in Steueroasen insgesamt versteckten Vermögens mit dem Anteil von 50 Prozent kombinieren, der nach ihren eigenen Untersuchungen der geleakten Bankdaten den reichsten 0,01 Prozent gehört. Das Ergebnis: Ein Viertel des Vermögens werde im Ausland versteckt. Dazu kämen dann noch etwa fünf Prozent inländischer Steuerhinterziehung, geschätzt anhand der Ergebnisse von Betriebsprüfungen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Geld im Ausland versteckt, steigt mit seinem Vermögen steil nach oben. Der geschätzte Anteil derer, die um die zehn Millionen Dollar besitzen und Geld im Ausland vor der Steuer verstecken, ist doppelt so hoch wie bei denen, die ein halb so hohes Vermögen haben.
Dass die Superreichen so viel häufiger ihr Geld im Ausland verstecken als die "einfach nur Reichen", erklären die Ökonomen nicht so sehr mit höherer Nachfrage der Reichsten nach Steuerhinterziehungsdienstleistungen, sondern vor allem mit der Angebotsseite. Die Hinterziehungshelfer würden die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, die mit der Zahl der unsauberen Kunden steigt, mit den erzielbaren Gewinnen abwägen. "Je ungleicher die Vermögensverteilung ist, desto mehr werden die Anbieter solche Dienstleistungen auf die Reichsten beschränkten", ist das Ergebnis ihrer mathematischen Modellierung dieses Kalküls. Wer nicht sehr viel Geld hat, dem werden die Verstecke in den Steueroasen gar nicht erst angeboten.
Für Norwegen, wo die Datenlage hinsichtlich der offiziellen individuellen Vermögen der Reichen besonders gut ist, kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass der Vermögensanteil des reichsten Promilles der Haushalte sich um ein Viertel erhöht, wenn man Vermögen in Steueroasen mit einrechnet, von acht Prozent auf zehn Prozent. Weil reiche Haushalte im übrigen Europa sowie in Lateinamerika und vielen asiatischen Ländern einen größeren Anteil ihres Vermögens im Ausland halten als Skandinavier, gehen die Ökonomen davon aus, dass diese Zahlen sogar eher noch die untere Grenze der Unterschätzung der Ungleichheit darstellen.
Da internationale Finanzverflechtungen vor einigen Jahrzehnten noch nicht so ausgebaut waren wie heute, vermuten sie darüber hinaus, dass der langfristige Anstieg der Ungleichheit steiler ausfallen würde, bezöge man das versteckte Vermögen mit ein.
Bisher waren die Hauptquellen für die Schätzung der Steuerhinterziehung Betriebsprüfungen. Ganz im Gegensatz zu dem, was die gestohlenen Bankdaten zeigen, finden sie jedoch typischerweise nur sehr wenig Steuerhinterziehung bei Kapitaleinkünften. In Dänemark sind es nur 2,2 Prozent, in den USA etwas mehr. Das dürfte daran liegen, dass Betriebsprüfer typischerweise nicht in der Lage sind, das versteckte Vermögen im Ausland aufzudecken.
Bei inländischen Kapitaleinkünften dagegen ist das Entdeckungsrisiko wegen der Berichtspflichten der Finanzdienstleister sehr hoch, so dass kaum jemand das Risiko auf sich nimmt, sie absichtlich zu unterschlagen. Was die Betriebsprüfungen jedoch zeigen, ist, dass die Bevölkerungsmehrheit der Nicht-Selbstständigen, die nur Arbeitseinkommen, Renten und inländische Kapitaleinkommen beziehen, kaum Gelegenheit hat, in größerem Umfang Steuern zu hinterziehen.
Die Analyse der drei Forscher zeigt: Dort, wo Steuerhinterziehung mit geringem Entdeckungsrisiko möglich scheint, vor allem bei den Selbstständigen und den Beziehern sehr großer Kapitaleinkommen, findet sie auch in großem Umfang statt, selbst in skandinavischen Ländern, die für großen sozialen Zusammenhalt, geringe Korruption und große Gesetzestreue bekannt sind.
[14.12.2017]